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Eine Frauenärztin erinnert an die Geschichte der IGeL

Autor: Dr. Gerda Enderer-Steinfort , Foto: MT

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Das Prinzip "IGeL" feiert in diesen Tagen seinen 20. Geburtstag. Es ist inzwischen integraler Bestandteil des Alltags der niedergelassenen Ärzte sowie der Kliniken geworden und nahezu allen Patienten bekannt. In der politischen Öffentlichkeit wird es erwartungsgemäß kontrovers diskutiert, aber nolens volens akzeptiert.

Wir erinnern uns: Mit der Bundesempfehlungsvereinbarung im Jahr 1989 erfolgte die "probeweise" Einführung eines Honorarbudgets für alle ambulant tätigen Ärzte. In Wahrheit war es die endgültige Verabschiedung vom Prinzip der Einzelleistungsvergütung. Von nun an sollten alle Praxen ein festes Honorarvolumen via KV unter sich aufteilen. Dass dies auf Dauer nicht gut gehen konnte, lag auf der Hand.

Mit dem gängigen Begriff "Hams­terrad" wurden die Bemühungen der niedergelassenen Ärzte an ihren Patienten beschrieben, die zu ständig sinkenden Punktwerten und niedrigeren Umsätzen führten. Hier musste eine andere Lösung her!

Wie gut, dass es die Frauenärzte gibt! Sie stellen die größte homogene Arztgruppe dar, und nicht alle Frauen, die beim Gynäkologen vorsprechen, sind schwer krank. Deshalb konnte diese Gruppe einen partiellen Ausstieg aus dem GKV-Honorarkorsett am ehesten wagen.

"Das Hamsterrad führte zu sinkenden Punktwerten und niedrigeren Umsätzen"

Unter Besinnung auf den Wirtschaftlichkeitsparagrafen des Sozialgesetzbuches V, der bis heute nichts anderes als eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Behandlungsweise vorsieht, beschlossen die Frauenärzte in Köln eine beispielhafte Liste von Leistungen zu erstellen, auf die die gesetzlich versicherten Patientinnen keinen Anspruch hatten. Dies waren Leistungen, die entweder im konkreten Fall nicht indiziert oder bei Vorsorgemaßnahmen nicht vorgesehen waren. Sie sollten in Zukunft von den normal situierten Patientinnen selbst finanziert werden.

Glücklicherweise signalisierte der damalige Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung seine Mitwirkungsbereitschaft, die 1998 durch das bekannte Buch "Kostenerstattung und Individuelle Gesundheitsleistungen" von Dr. Lothar Krimmel (einst stellvertretender Hauptgeschäftsführer der KBV) konkrete Formen annahm. Zugleich wurde mit der Ärztekammer Nord­rhein eine Art "IGeL-Etikette" erarbeitet, die die Umgangsformen bei Wunschleistungen regelte.

"Das Angebot sinnvoller Zusatzleistungen gehört in fast jeder Praxis zum Alltag"

Nachdem die junge Protestbewegung gegen die unzureichende GKV-Honorierung von den Körperschaften abgesegnet war, konnte sie den Start wagen. Über 50 Informationsveranstaltungen im inzwischen vereinten Deutschland waren erforderlich, um das freiberufliche Bewusstsein der Ärzte wieder auf jenen Stand zu heben, der mutmaßlich bei der Eröffnung der Praxen einmal vorhanden war, dann aber verloren gegangen war.

Inzwischen gehört das Angebot sinnvoller Zusatzleistungen fast in jeder Praxis zum Alltag. Die Krankenkassen zählen zu den erklärten Gegnern; sie wollen nicht als zweitklassige Versicherung wahrgenommen werden. Diese Gegnerschaft trägt zweifellos zu Reibungsverlusten in unseren Sprechstunden bei. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V kann aber nicht außer Kraft gesetzt werden.

Prinzipiell konnte ein Arzt von jeher Leistungen, die auf Wunsch des Patienten erfolgten, privat abrechnen. Atteste, Bescheinigungen und Schwangerschaftstests etwa waren stets kostenpflichtig. Auch konnte ein Kassenpatient für Leistungen, die ihm eigentlich zustanden, ausdrücklich die Privatbehandlung wünschen – aus welchen persönlichen Gründen auch immer.

Insofern wäre die dankenswerte Starthilfe durch KVen und Kammern für die Legitimierung nicht indizierter Wunschleistungen juristisch nicht nötig gewesen. Aber ohne die Flankierung der Körperschaften wäre die Bewegung nie aus den Startlöchern herausgekommen.

Denn bis in die frühen 1990er-Jahre galt: Jeder Patient ist entweder Kassen- oder Privatpatient. Dass er beides sein kann, kam in den Köpfen der Ärzte nicht vor. Inzwischen sind diese Grenzen verwischt. Die durch die Regelleistungsvolumina entstandenen Verluste konnten aber selbst die eifrigsten IGeL-Praxen nicht komplett ausgleichen. Man ist noch immer von den KV-Zahlungen abhängig. Doch es bahnt sich ein Bewusstseinswandel an. Bleibt noch die Frage, ob die Bürokratie im Wunsch­leistungs­bereich nicht reduziert werden könnte.

Aus der ursprünglichen IGeL-Etikette, die die Übervorteilung der Patienten verhindern sollte, ist ein Forderungspaket entstanden, dessen Aufwand den Wert der ärztlichen Leistung weit überschreitet und die Patienten entmündigt. Das Sammelsurium der Anweisungen umfasst

  • rechtzeitige Aufklärung,
  • angemessene Bedenkzeit,
  • einen schriftlichen Vertrag.


Die Autoren solcher Forderungen messen einer Wunschleistung die Bedeutung eines notariell zu beurkundenden Aktes zu. Dabei ist die Vertragsgestaltung hier allein Sache von Arzt und Patient, also weder von der KV noch von den Kassen zu reglementieren. Auch die Kammer ist erst zuständig, wenn eindeutig gegen das Berufsrecht verstoßen wird.

"Nur mithilfe des kritischen Verstandes kann man sich aus der Unmündigkeit befreien"

Insofern können Ärzte und Patienten sich im Einzelfall sehr wohl darauf einigen, auf eine lange Bedenkzeit und die Schriftform zu verzichten. Ein Honorarvertrag hat allein den Sinn, den Honoraranspruch zu sichern. Das ist nur bei einem Teil der Patienten tatsächlich notwendig. Wir kennen sie ziemlich genau. Für diese Gruppe ist er dringend zu empfehlen – und zur Vermeidung unnötiger Diskussionen vermutlich auch für alle anderen.

Dass aber ohne Schrift­form ein Wunsch­leistungs­vertrag von vornherein nichtig wäre, ist eine gewagte Behauptung. Ich lasse diese Grundsatzfrage immer wieder prüfen und stelle fest, dass manche Richter wesentlich besonnener damit umgehen als Vertreter unserer Standesorganisationen. Bis heute ist die Schriftform nicht zwingend!

Zu meinem Bedauern sind diese Überlegungen aber für die meisten Kollegen völlig uninteressant. Unberechtigten oder übertriebenen bürokratischen Anforderungen begegnen sie mit resignativem Gehorsam oder unauffälliger Missachtung.

Das genügt aber nicht! Jeder Arzt muss die für ihn gültigen Normen selbst lesen und auslegen können. Nur mithilfe des eigenen kritischen Verstandes kann man sich aus der Unmündigkeit befreien. Wir müssen unsere Nachfolgegeneration gerade im Hinblick auf unseren Rettungsengel IGeL wesentlich mehr Konfliktbereitschaft, Mut und Textkenntnis antrainieren. Schaffen wir das, ist der 30. Geburtstag kraftvoll agierender IGeL tatsächlich nur eine Frage der Zeit.

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