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Die Lücken bei der Hospiz- und Palliativversorgung beachten und schließen

Autor: Dr. Elisabeth Nolde

Auf der einen Seite steht die Hochleistungsmedizin und auf der anderen Seite gibt es immer noch mancherorts eine Sterbeeinsamkeit. Auf der einen Seite steht die Hochleistungsmedizin und auf der anderen Seite gibt es immer noch mancherorts eine Sterbeeinsamkeit. © iStock/denisgo
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Die Anforderungen an den Umgang mit Sterbenden sind immens. Dabei sollten auch die individuellen Wünsche von schwerstkranken Menschen, die Vorstellungen ihrer Angehörigen und die jeweilige Pflegesituation berücksichtigt werden.

Auf der einen Seite steht die Hochleistungsmedizin und auf der anderen Seite gibt es immer noch mancherorts eine Sterbeeinsamkeit, brachte es Professor Dr. Horst Seibert, Weilrod, auf den Punkt. Gerade bei der Palliativversorgung und Sterbebegleitung können Zeitdruck, Personalsituation, Arbeitstaktung und ökonomisch bedingte Rationalisierung zu dem Gefühl führen, dem Selbstanspruch als Pflegekraft oder Arzt nicht nachkommen zu können, so der Theologe, der sich u.a. mit dem Arbeitsschwerpunkt Thanatologie und Thanatagogik* befasst.

Als besondere Herausforderung gilt zudem, einen inneren Zugang zu Menschen anderer kultureller Herkunft zu schaffen. Denn Konzepte von Leben, Gesundheit, Tod und Sterben sind sehr verschieden und stark durch soziokulturelle und religiöse Rituale geprägt, veranschaulichte Professor Dr. Claude-Hélène Mayer, Kapstadt. Das Ziel sei letztlich, kulturübergreifend empathisch auf sterbende Menschen einzugehen.

Pflegende müssen Gehör finden – und Unterstützung

So betrachtet gilt, Gefühle und Wünsche von Schwerstkranken und Sterbenden bei der Abwicklung des therapeutischen Programms nicht auszublenden. Beim Umgang mit Sterbenden geht es auch um deren individuelle Bedürfnisse, was auf der Basis der persönlichen Biografie und der kulturellen Herkunft eine enorme Herausforderung sein kann, verdeutlichte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz (siehe Kasten 1). Ebenso sind die Vorstellungen von Angehörigen zu beachten – sofern es sie gibt oder sie sich kümmern. Erfahrungsgemäß möchten Angehörige:

  • eingebunden sein, ohne überfordert zu werden
  • vertraute, jederzeit erreichbare Ansprechpartner
  • professionelle, erfahrene Pflegende, die auch Unsicherheiten (der Angehörigen) auffangen
  • bei Fragen und Ängsten ggf. psychosoziale und spirituelle Begleitung

Wünsche von Patienten

Erfahrungsgemäß möchten sterbende Menschen:
  • in ihrer gewohnten Umgebung, z.B. ihrem Zimmer oder auf der jeweiligen Station, bleiben
  • dass individuelle Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt werden
  • vertraute Menschen um sich haben
  • eine gute Symptomkontrolle, insbesondere bei Schmerzen
  • eine Atmosphäre der Geborgenheit, in der Pflegende jederzeit ansprechbar sind

Doch was bedeutet diese Komplexität und die Verwobenheit der Beteiligten für die praktische Arbeit? Gehör finden sollten dabei vor allem jene, die die Pflege von Schwerstkranken und Sterbenden aufgrund ihrer Kompetenz und Erfahrung im Blick haben. Um den Anforderungen und Belastungen gewachsen zu sein, benötigen Pflegende vor allem ausreichend Zeit und ein vertrautes, eingespieltes Team, so Brysch (siehe Kasten 2). Angesichts der Belastungen, die in Grenzsitua­tionen menschlichen Handelns entstehen können, sollten auch ad­äquate Vorbereitungen, Begleitungen und Supervisionen ermöglicht werden. Voraussetzung dafür ist freilich eine adäquate Personalausstattung. Doch diesbezüglich scheinen weitere Anstrengungen erforderlich, um Versorgungslücken bei der Hospiz- und Palliativversorgung – sowohl ambulant als auch stationär – zu schließen. Experten zufolge gibt es noch einiges zu tun, was offenbar besonders für Pflegeheime gilt. Obwohl diese in den letzten 30 Jahren zunehmend zu Sterbeorten geworden sind, habe das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) von 2015 keine zusätzlichen Leistungsansprüche für die Hospiz- und Palliativversorgung gebracht, kommentierte Brysch.

Was das Pflegepersonal benötigt

Aus praktischer Sicht brauchen Pflegende:
  • Zeit und Flexibilität bei Routineaufgaben, bei der Pflegeplanung und der Erreichbarkeit
  • ein eingespieltes, vertrautes Team
  • Vorbereitung, Begleitung und Supervision
  • Erfahrung, insbesondere bei der Kontrolle von Symptomen
  • möglichst reibungslose Abläufe und keine Probleme an Schnittstellen zwischen Ärzten, Personal und Helfern
  • Kenntnisse über die Herausforderungen einer interkulturellen Sterbebegleitung und Zeit für diese Aufgabe

Jährlich Mehrkosten in Höhe von 800 Millionen Euro

Ein individueller Rechtsanspruch auf Hospizleistungen für Pflegeheimbewohner bedeute, dass sich die Voraussetzungen, der Personal­einsatz und die Qualität an den Bedingungen für stationäre Hospize orientieren. Grob geschätzt heißt dies, dass jährlich Mehrkosten in Höhe von etwa 800 Millionen Euro zu kalkulieren sind (über SGB V als Zusatzleistung), so Brysch. Aber es gibt offenbar noch weitere Hürden zu überwinden, etwa bei Standards: Was die Hospiz- und Palliativversorgung konkret bedeutet, wird durchaus unterschiedlich gesehen und auch ein einheitlicher bundesweiter Personalschlüssel existiert offenbar nicht.

* abgeleitet von Death Education (Bildung und Erziehung auf das Sterben und den Tod hin)