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„Sterben in Würde ist auch ohne Suizid möglich“

Autor: Manuela Arand

Menschen müssen akzeptieren, dass sie mit fortschreitendem Alter Leistungsfähigkeit einbüßen und auf Hilfe anderer angewiesen sein werden. Menschen müssen akzeptieren, dass sie mit fortschreitendem Alter Leistungsfähigkeit einbüßen und auf Hilfe anderer angewiesen sein werden. © iStock/KatarzynaBialasiewicz
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Schmerzen, Einsamkeit, drohendes Siechtum – Gründe, warum alte oder schwer kranke Menschen vorzeitig aus dem Leben gehen wollen, gibt es einige. Mindestens ebenso vielfältig sind die Möglichkeiten und Strategien, den Suizid- und Tötungswünschen im Vorfeld zu begegnen.

Menschen suchen, wenn sie alt oder gebrechlich werden, Exit-Strategien für den Fall, dass sie das Leben nicht mehr ertragen können. „Das ist nicht nur ein medizinisches, geriatrisches oder psychiatrisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem, auf das wir eine Antwort brauchen“, meint Professor Dr. Bernd Alt-Epping, Leitender Oberarzt am Palliativzentrum der Universitätsmedizin Göttingen. „Wir müssen uns fragen, ob wir eine Gesellschaft wollen, in der Suizid und Tötung auf Verlangen zu einem als normal empfundenen Lebensende werden.“

Symptome lindern und Pflege gut organisieren

Die Auslöser der Suizidwünsche sind vielfältig: Unerträgliches Leid und Siechtum spielen ebenso eine Rolle wie Einsamkeit, Überforderung, Furcht vor dem Verlust der Autonomie und das Gefühl, „lebenssatt“ zu sein. Bei genauer Betrachtung dieser Liste fällt auf: „Fast allem können wir ärztlicherseits etwas entgegensetzen, außer vielleicht dem Gefühl der Lebenssattheit“, meinte Prof. Alt-Epping­.

So lassen sich körperliches Leiden durch Schmerztherapie und andere symptomatische Maßnahmen lindern, sozialen Problemen und Autonomieverlust kann man mit gut organisierter Pflege und psychosozia­ler Betreuung entgegenwirken. Ein wichtiges Thema ist die Vorsorge für das Lebensende, Stichwort: Advance Care Planning. Das gilt sowohl im Bereich der onkologischen als auch in dem der geria­trischen und haus­ärztlichen Medizin.

Mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung lässt sich dem Gefühl entgegenwirken, das Selbstbestimmungsrecht ende, wenn der Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist, so der Palliativmediziner. Ein wichtiger Punkt ist seiner Ansicht nach, Erwartungen an die Realität anzupassen. Menschen müssen akzeptieren, dass sie mit fortschreitendem Alter Leistungsfähigkeit einbüßen und auf Hilfe anderer angewiesen sein werden.

Gleichzeitig sollten sie wissen, dass die Medizin meistens in der Lage ist, ihnen Schmerzen und einen leidvollen Tod zu ersparen. „Ein Sterben in Würde ist ohne Suizid möglich“, betonte Prof. Alt-Epping. Unrealistisch und letztlich kontraproduktiv sei aber die Erwartung, dass die Palliativmedizin alle Patienten völlig schmerzfrei machen könne.

§ 217 StGB – Moralismus oder ein guter Mittelweg?

§ 217 StGB besteht nur aus zwei kurzen Absätzen, aber die bergen Zündstoff. Sie stellen die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Freiheits- oder Geldstrafe. Für Professor Dr. Hartmut Kreß von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn stellt das einen Rückfall des Staates in einen Paternalmoralismus dar. Allein der Begriff „geschäftsmäßig“ sei so unscharf, dass es im Zweifelsfall im Ermessensspielraum eines Richters liege, wann ein Arzt, der einem Patienten zum Tode hilft, geschäftsmäßig handelt und wann nicht. Prof. Alt-Epping sieht dagegen in § 217 den Versuch, den Mittelweg zwischen kategorischem Verbot von Sterbehilfe und Einzelfallentscheidung zu beschreiten. Zuvor „gab es ärztliche Kollegen, die es zum Geschäftsmodell gemacht hatten, durchs Land zu ziehen und im Akkord Menschen zum Tode zu helfen“. Beide Referenten stimmten darin überein, dass genauer definiert werden müsse, welchen Freiraum das Gesetz Ärzten in Sachen Sterbehilfe lasse.

Palliativmedizin als Beziehungsarbeit verstehen

Die eigenen Vorstellungen revidieren sollten auch so manche Ärzte. Den Patienten weiter zu begleiten, selbst wenn therapeutisches Eingreifen nicht mehr möglich ist, stellt einen Wert an sich dar, erinnerte der Kollege. „Wenn Palliativmedizin als Beziehungsarbeit verstanden wird, kommt ein ‚Ich kann nichts mehr für Sie tun’ nicht vor“.