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Bei COPD hat jeder die "Lizenz zum Töten"

Interview Autor: Tanja Schliebe

© thinkstock/MT-Archiv
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Inhalative Steroide in die Tonne – so könnte man die FLAME-Studie zusammenfassen, die in diesem Jahr die COPD-Welt auf den Kopf gestellt hat. Das schlägt sich jetzt auch in den neuen GOLD-Empfehlungen nieder, erklärt Professor Dr. Felix Herth im Interview mit Medical Tribune.

Wurden und werden in Deutschland zu häufig inhalative Kortikosteroide (ICS) bei COPD verordnet?

Prof. Herth: Wir haben sehr gute Daten zur deutschen Versorgungsrealität, die aufzeigen, dass die Kollegen die COPD eigentlich nur selten nach Leitlinie behandeln. Insbesondere zur Therapie mit inhalativen Kortikosteroiden wissen wir, dass auch in den ersten Stadien, wo wir keine ICS empfehlen, in der Regel doch etwa 30 Prozent der Patienten mit inhalativen Kortikosteroiden behandelt werden. Und auf der anderen Seite erhalten Patienten in den schwereren Stadien, wo wir eine Therapie mit ICS empfehlen, wiederum nur 30 Prozent der Patienten diese. Wenn man das jetzt etwas plakativ zusammenfasst, dann kann man sagen: Inhalative Kortikosteroide und COPD in Deutschland, das ist ein Desaster.

Ihr Kollege Prof. Vogelmeier sagt, es gäbe eine COPD-Welt vor und nach der FLAME-Studie. Was bedeutet das für die Praxis? Gehen Sie davon aus, dass es schnell ein Umdenken bezüglich des Therapieregimes bei COPD gibt?

Prof. Herth: Die FLAME-Studie hat uns klar gezeigt, dass wir auch in Patientengruppen, von denen wir bislang davon ausgegangen sind, dass die Patienten ein inhalatives Kortikosteroid in der Therapie benötigen, dies nicht wirklich brauchen, weil sie mit einer Kombination aus einem Betamimetikum und Anticholinergikum genauso gut und sogar noch besser behandelt werden können. Wenn man jetzt die Versorgungsrea­lität betrachtet und die Daten, auf die ich eben schon Bezug genommen habe, kam diese Empfehlung zumindest in den frühen Stadien, wo wir schon lange kein inhalatives Kortikosteroid mehr empfehlen, nicht so richtig an. Deshalb habe ich Sorge, dass jetzt die aktuellen Daten noch verzögerter angenommen werden. Die Datenlage ist relativ dicht, dass das ICS wirklich nur in einer ganz kleinen Subgruppe zum Einsatz kommen sollte. Dennoch erwarte ich kein schnelles Umdenken. Leider.

In der FLAME-Studie wurden Patienten mit Asthma-Diagnose ausgeschlossen. Ein relevanter Anteil der COPD-Patienten weist jedoch eine asthmatische Begleitkomponente auf. Die Zahl wird auf 15–25% geschätzt. Ist dies die Patientengruppe, die weiterhin mit ICS behandelt werden sollte?

Prof. Herth: Sie sprechen das Grundproblem an: Warum wird so viel ICS bei COPD verschrieben? Zunächst einmal ist es der Unsicherheit bei der Diagnosestellung geschuldet. Habe ich vielleicht einen Asthma-Patienten vor mir? Den muss ich mit einem ICS behandeln. Oder habe ich einen Patienten mit COPD vor mir, den sollte ich möglichst nicht mit einem ICS behandeln. Den Asthma-COPD-Overlap gibt es wissenschaftlich nicht – aber in der Versorgungsrealität spielt das eine große Rolle. Wir haben keinen Messwert, kein Raster oder Marker, der uns zu einer klaren Diagnose führt. Man kann natürlich sagen, ich bin mir nicht sicher, dann behandele ich den Patienten mit einer ICS/LABA-Kombination. Aber dann muss ich nach 6 Wochen prüfen, ob er davon irgendeinen Benefit hat. Und wenn er den nicht hat, dann würde ich das ICS auch direkt wieder wegnehmen.

Es gibt in der Praxis aber einen Biomarker …

Prof. Herth: Ja, wir haben einen Blut-Biomarker zur Kortison-Therapie-Steuerung für Patienten mit COPD, das nennen wir Eosinophilie. In der FLAME-Studie wurden Patienten, auch wenn sie eine klassische COPD-Anamnese angegeben haben, aber eine Eosinophilie von über 600 aufwiesen, in der Studie nicht zuge­lassen. Derzeit erhalten wir mehr und mehr Daten, die uns darin bestärken, die Eosinophilenzahl zu nutzen, um zu entscheiden, ob der Patient von ICS profitiert. Wenn ein Patient eine Eosinophilie über 400 µl aufweist und zudem Exazerbationen angibt, ist das der COPD-Patient, der von den inhalativen Kortikosteroiden profitiert - wenn er schon eine Therapie mit ICS hat. Denn Daten der WISDOM-Studie haben gezeigt, dass sich Patienten, die ein ICS in der Therapie und hohe Eosinophilen und > 2 Exazerbationen/Jahr haben, verschlechtern, wenn wir ihnen das ICS aus der Therapie nehmen. Einem therapienaiven Patienten würde ich also heutzutage bei der Diagnosestellung COPD nur noch mit dualer Bronchodilatation (LAMA/LABA) im ersten Schritt behandeln. Wenn ich jetzt einen Patienten habe, bei dem ich der Meinung bin, dass er eine COPD hat, er aber schon länger ein ICS nimmt, sollte die Eosinophilenzahl bestimmt werden. Wenn die unter 400 ist, dann setze ich das ICS direkt ab. Liegt die Anzahl über 400 und gibt der Patient Exazerbationen an, dann würde ich ihm das ICS nicht aus der Therapie nehmen.

Und wenn in den letzten zwei Jahren keine Exazerbation zu verzeichnen war?

Prof. Herth: Dann würde ich das inhalative Kortikosteroid absetzen.

Es gibt Stimmen, die behaupten, das Pneumonierisiko beim Einsatz von ICS wäre überbewertet …

Prof. Herth: Das Pneumonierisiko kann man nicht leugnen. Man kann natürlich behaupten, dass es vielleicht einen Klasseneffekt gibt, das "ICS A" ein bisschen mehr anrichtet als das "ICS B", auch ob das Risiko zwischen 5 oder 15 % liegt, darüber kann man diskutieren − aber das Pneumonierisiko ist unbestreitbar!

Welchen Stellenwert hat künftig eine Dreierkombination (LAMA/LABA/ICS)?

Prof. Herth: Wir empfehlen in GOLD mit einer LAMA/LABA-Kombination zu beginnen und erst wenn der Patient mehrfach exazerbiert, ein ICS hinzuzufügen. Dann werden die Dreierkombinationen relevant. Wir wissen: Muss der Patient mehr als ein Spray oder Device anwenden, steigt die Fehlerquote bei der Anwendung und die Compliance sinkt. Diese Patienten würde ich also mit einem Triple versorgen.

Sehen Sie in Bezug auf Fehlverordnungen von ICS eines der Versäumnisse auch bei den Allgemeinmedizinern? Zum Teil fordert der Patient zudem die Therapie mit inhalativen Kortikosteroiden ein.

Prof. Herth: Ja, natürlich, Kortison ist ja einst eines der beliebtesten Dopingmitteln gewesen. Das Kortison hat einen euphorisierenden, stimulierenden Effekt. Wir wissen um die systemische Wirkung auch bei den inhalativen Therapien, die Patienten spüren den Effekt und wollen ihn nicht missen. Inhalative Kortikosteroide werden von einer bestimmten Patientenpopulation eingefordert, andere verschrecken Sie bereits, wenn Sie den Begriff Kortikosteroide nur in den Mund nehmen. Zu Ihrer Frage bezüglich der Hausärzte: Wenn Sie als Frau ein Problem mit Ihrer Periode haben, dann würden Sie niemals zu Ihrem Hausarzt gehen, Sie würden direkt den Gynäkologen ansteuern. Und selbst wenn Sie zu Ihrem Hausarzt gehen würden, dann würde der Sie umgehend zum Gynäkologen schicken. Aber bei der Lunge, bei der COPD, hat jeder die "Lizenz zum Töten". Kardiologen etwa würden sofort Einspruch erheben, wenn der Hausarzt bei ihren Patienten ohne Rücksprache therapiert. Da sind die Pneumologen noch zu zurückhaltend, diesbezüglich klare Forderungen zu artikulieren. Eigentlich muss gefordert werden, dass ein Patient mit Asthma oder COPD einmal im Jahr vom Pneumologen gesehen wird. Der muss über die aktuelle Einteilung informiert sein und die Therapieempfehlung abgeben, die der Hausarzt dann gerne umsetzen kann.

Wie sieht es in der Realität mit den Kontrollintervallen aus?

Prof. Herth: Das ist ganz unterschiedlich – manche COPD-Patienten haben noch nie einen Pneumologen gesehen, es gibt Patienten, die werden regelmäßig zum Pneumologen geschickt, und es gibt Patienten, die werden gelegentlich mal zum Pneumologen überwiesen. Deshalb noch einmal die klare Forderung: Der Patient muss einmal im Jahr zum Pneumologen, um die Lungenfunktion überprüfen zu lassen!

 

Hier finden Sie Professor Dr. Felix Herth im Video-Interview mit Medical Tribune.

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