Anzeige

"Das sind doch keine Fantasiepreise"

Gesundheitspolitik , Interview Autor: Medical Tribune

Anzeige

Fünf Jahre nach Einführung des AMNOG-Systems der frühen Nutzenbewertung und der Erstattungspreisverhandlungen wird der Gesetzgeber wieder nachjustieren. Mit Frank Schöning, Geschäftsführer der Bayer Vital GmbH, sprachen Stephan Kröck und Michael Reischmann über notwendige Entscheidungen.

Um fast 25 % ist der weltweite Bayer-Umsatz mit dem Krebsmedikament Regorafenib (Stivarga®) 2015 währungsbereinigt gestiegen. In Deutschland haben Sie es aber im April 2016 vom Markt genommen, nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss in einer Neubewertung den Zusatznutzen von „geringfügig“ auf „nicht belegt“ herabgestuft hat. War dieser Schritt, der von der Fachgesellschaft der Onkologen öffentlich bedauert wurde, alternativlos?

Schöning: Das war ein Präzedenzfall. Erstmals ist es zu einer Marktrücknahme gekommen, nachdem einem Produkt in einer Neubewertung der Zusatznutzen nicht mehr anerkannt wurde. Dabei lag aufgrund einer zweiten großen Studie mehr Evidenz und eine Bestätigung der ersten Studie vor. Wirkungen wie Nebenwirkungen waren die gleichen.

Darum sind wir davon ausgegangen, dass wir den Zusatznutzen zugesprochen bekommen. Doch das IQWiG ist methodisch anders herangegangen. Hier geht es um reine Mathematik, etwa wie Signifikanz berechnet wird. Und diesmal hieß es: Nein, dieses Nebenwirkungsprofil reicht uns nicht. Also: Nicht die Daten haben sich geändert, sondern die Betrachtungsweise.

Auf die Zusatznutzenbestimmung durch IQWiG und Gemeinsamen Bundesausschuss folgen die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband über den Erstattungspreis. Da die Zahlen zum Deutschen Ärztetag präsentiert wurden, sind sie kein Geheimnis: 2013 betrug der Rabatt zugunsten von GKV und PKV für Regorafenib auf Basis des Hersteller­abgabepreises rund 43 %. Was hätte sich daran geändert?

Schöning: Im Gemeinsamen Bundesausschuss wurde eine Wertentscheidung getroffen. Die Ergebnisse der Studie zeigen im primären Endpunkt eine signifikante Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens im Regorafenib-Arm gegenüber dem Placebo-Arm (6,4 versus fünf Monate). Die 45 Tage längeres media­nes Überleben bei dem gegebenen Nebenwirkungsprofil genügen dem System nicht, um einen Zusatznutzen gegenüber der besten supportiven Behandlung anzuerkennen. Wir meinen, dass die Therapieentscheidung Ärzten und Patienten überlassen bleiben sollte.

Durch die Bewertung "kein Zusatznutzen belegt" waren wir in die Situation geraten, dass der Preis qua Gesetz nicht über den Ausgaben der best supportive care liegen darf. In den Verhandlungen wurde klar, wo der GKV-Spitzenverband den Preis sah – und das entsprach in keinster Weise der Wertigkeit des Produkts.

Wenn wir irgendeine Möglichkeit gesehen hätten, das Präparat im Markt zu lassen, hätten wir es getan. Das war eine schwere Entscheidung. Schließlich haben wir Regorafenib hier über viele Jahre erforscht und Ärzte wie Patienten drei Jahre lang damit begleitet.

Jetzt bleibt noch die Möglichkeit, Patienten mit Importen weiterzubehandeln, was einige Onkologen auch tun. Als deutsche Unternehmenseinheit wissen wir allerdings nicht, wieviel importiert wird und inwieweit dies für die Indikation gastrointestinaler Stromatumor oder bei metastasiertem Dickdarmkrebs geschieht.

Welche Lehre ziehen Sie daraus?

Schöning: Stivarga® wurde für die letzte Therapielinie bei austherapierten Patienten entwickelt. Da noch einen Lazaruseffekt mit sechs oder zehn Monaten Überleben zu erzeugen, ist fast unmöglich.

Was sollte am AMNOG-Prozess anders werden, um Produkt­vor­teile bei Überleben und Lebensqualität besser zur Geltung zu bringen?

Schöning: Ein Großteil der "Kein Zusatznutzen"-Bewertungen basiert auf formalen Gründen, weil der Komparator oder das Studiendesign nicht anerkannt wurden. Dabei haben diese Produkte durchaus häufig einen Zusatznutzen – je nachdem, wie man es betrachtet. Das passiert beispielsweise durch die oft künstliche Bildung von Subgruppen.

Wenn dann noch die zweckmäßige Vergleichstherapie nicht dem gewünschten Komparator aus Zulassungsstudien entspricht, reicht das schon für ein negatives Votum aus. Man sollte auch den generischen Preisanker, der die Preise von Innovationen maßgeblich mitbestimmt, hinterfragen.

Und: Der GKV-Spitzenverband spielt zu Recht eine wichtige Rolle bei der Preisverhandlung. Aber er ist über den G-BA auch bei der Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie und beim Beschluss über den Zusatznutzen mit dabei. Ich glaube, dass "Good Governance" verbessert werden könnte, etwa mit der Beteiligung von Zulassungsbehörden und Fachgesellschaften.

Und wie sehen Sie die Chancen dafür, dass der Gesetzgeber davon etwas umsetzt?

Schöning: Damit sind wir beim Pharmadialog mit der Regierung, der sehr positiv verlief. Er hat bestätigt, dass die Gesundheits- und die Pharmaindustrie ein wichtiges Standbein für den Standort Deutschland sind, was zum Beispiel die Innovationskraft, Wirtschaftskraft und Arbeitplätze betrifft.

Wichtig ist, dass das Gesetz, das Ende dieses Jahres kommen soll, dem entspricht, was beim Pharmadialog als Absicht kundgetan wurde.

Kassen- und Ärztevertreter schlagen vor, die Preise im ersten Jahr nach der Markteinführung nicht mehr ungeschoren zu lassen.

Schöning: Ein Unternehmen braucht Planungssicherheit. Das sind doch keine Fantasiepreise. Der Preis orientiert sich am Markt­umfeld, dem Produktnutzen und der Budgetfreiheit in einem Therapiefeld. Wenn man ein Medikament zu einem Preis anbietet, der nicht vermittelbar ist, verschreibt es kein Arzt.

Darum auch der Appell an die Politik, nicht auf den Preis einer Packung zu schauen, sondern auf den Wert einer Therapie für den Patienten.

Diskutiert wird ferner, statt dem Jahr der freien Preissetzung eine Umsatzschwelle festzulegen, zum Beispiel 250 Millionen Euro.

Schöning: Jegliche Umsatzschwelle sollte so definiert werden, dass ein schneller und freier Marktzugang gewährleistet ist. Und die Versorgungspriorität muss über allen Preisverhandlungen stehen. Das wäre ein wichtiges politisches Signal für Deutschland.

Ein anderer Vorschlag gilt dem Arzneimittelinformationssystem der Praxen. Es soll den Ärzten bessere und aktuelle Informationen über die Zusatznutzenurteile liefern.

Schöning: Den Vorschlägen des GKV-Spitzenverbandes zufolge entstünde statt des geplanten Informationssystems ein Arzt- und Versorgungssteuerungssystem. Potenziell könnte dann jede Kasse auf Basis von Vorgaben den Arzt kontrollieren und im Bedarfsfall beraten. Regress­androhungen könnten weiterhin als Sanktionsmechanismus eingesetzt werden.

Die Therapiefreiheit würde weiter ausgehöhlt werden. Verschreibungen nach Kassenlage würden zur Regel. Hinzu käme ein Schutzverlust von Patienteninteressen; die Verordnungs- und Therapiedaten würden preisgegeben. In der Konsequenz würde das Einsparungen und Einschränkungen von Versorgungsleistungen bedeuten.

Information, Fortbildung, Zusammenarbeit – schlagen wir den Bogen zum Transparenzkodex der forschenden Pharmaunternehmen. Jetzt ist es – auch bei Bayer – erstmals soweit, dass die 2015er Zuwendungen der Unternehmen an Ärzte auf den Firmen-Homepages namentlich veröffentlicht werden. Was haben Sie festgestellt?

Schöning: Es haben natürlich bei weitem nicht alle Ärzte einer namentlichen Veröffentlichung zugestimmt – was der deutschen Gesetzeslage, insbesondere dem Datenschutz, entspricht. Wir haben die Ärzte im Vorfeld aufgeklärt, dass es allen dient, gemeinsam transparent zu sein. Es geht ja schließlich auch um Honorare für geleistete Arbeit, deren Höhe sich nach den Maßstäben der Branchenkodizes richtet. Man kann aber niemanden zur Transparenz zwingen.

Sie müssen also nicht befürchten, dass nun die Ärzte selbst vergleichen, ob man als Referent bei der Firma A mehr bekommt als bei der Firma B und sich beschweren?

Schöning: Es wird interessant sein zu sehen, wie die Öffentlichkeit die Veröffentlichung aufnimmt. Wie wird sie in den Medien dargestellt werden? Fatal wäre es, wenn man sich gerade auf diejenigen stürzt, die transparent sein wollen, und deren Tätigkeiten und Honorare thematisiert. Dann werden diese Ärzte im nächsten Jahr bestimmt nicht mehr der Veröffentlichung zustimmen. Das tut der Sache nicht gut.

Schließlich sind die Ausgaben für die Weiterbildung als ein Fortbildungsbudget für die Ärzteschaft und als wichtiger Beitrag zu Forschung und Entwicklung zu verstehen. Das ist doch etwas Gutes.

Anzeige