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Den Ernst der Lage noch nicht erkannt

Autor: Erich Kögler

Mit minimalen Korrekturen soll ein dramatischer 
Notstand kaschiert werden. Mit minimalen Korrekturen soll ein dramatischer Notstand kaschiert werden. © Fotolia/Rawpixel.com
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0,59 Zusatzkräfte pro Pflegeheim – das soll ein Riesenerfolg sein? – in unserer Meinungskolumne "Mit spitzer Feder".

Von einem „großen Schub“ sprach (Noch-)Gesundheitsminister Hermann Gröhe geradezu euphorisch und SPD-Experte Karl Lauterbach verkündete bei den Koalitionsverhandlungen für eine neuerliche Große Koalition vollmundig den „Durchbruch“ in Sachen Pflege. Doch bei genauerem Hinsehen ist das von Union und Sozialdemokraten erzielte Ergebnis doch eher mickrig ausgefallen: Der Berg kreißte und gebar eine Maus!

8 000 neue Stellen in der medizinischen Behandlungspflege wurden in den Koalitionsvertrag geschrieben und als Riesenerfolg gefeiert. Rund 13 600 Pflegeheime gibt es in Deutschland. Wir reden also über circa 0,59 Zusatzkräfte pro Einrichtung! Die Frage, woher die neuen Kräfte kommen sollen, wurde nicht beantwortet und auch die Finanzierung der angekündigten Verbesserungen blieb offen.

Entsprechend vernichtend fielen die Reaktionen aus der Branche aus. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe nannte die Ergebnisse „völlig unzulänglich“, der Deutsche Pflegerat ist „schwer enttäuscht“. Ähnlich heftige Kritik hagelte es von den Sozialverbänden. Gemessen an den Wahlkampfversprechen von Schulz und Merkel sei das jetzt Gebotene „ein schlechter Witz“, kommentierte der Paritätische Wohlfahrtsverband.

Nötig seien nicht 8 000, sondern 100 000 zusätzliche Pflegekräfte. Das Bundesinstitut für Berufsbildung rechnet für 2035 denn auch mit 270 000 fehlenden Fachkräften in Pflege- und Gesundheitsberufen. Die Bertelsmann-Stiftung beziffert die Lücke gar auf 500 000 Personen. Und schon jetzt suchen die Träger händeringend. Im März 2017 beispielsweise kamen auf 14 600 offene Altenpflegestellen nur 3000 arbeitsuchend gemeldete Fachkräfte.

Vor diesem Hintergrund ist zu konstatieren, dass der dramatische Notstand in Krankenhäusern, Heimen und bei ambulanten Diensten weiterhin mit minimalen Korrekturen kaschiert werden soll. Offenbar ist den Politikern der Ernst der Lage immer noch nicht bewusst. Mit unzureichenden Ansätzen, die sich bereits in der Vergangenheit als wirkungslos entpuppt haben, wird an den Symptomen der Krise herumgedoktert.

Alexander Jorde wird angesichts dieses massiven Versagens gewählter Volksvertreter die Welt nicht mehr verstehen. Der junge Mann wurde im Wahlkampf des vergangenen Herbstes zur Berühmtheit. Der Pflege-Azubi hatte während einer Fernsehsendung die Kanzlerin mit den gravierenden Folgen des Fachkräftemangels in der Kranken- und Altenpflege konfrontiert. Seine gezielten Fragen ließen Angela Merkel schlecht aussehen und sie musste eingestehen, dass das, was bisher getan wurde, nicht ausreichend ist. Und nun? Fünf Monate später muss auch Alexander Jorde erkennen: Es wird sich nicht viel ändern!

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