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Eine Tele-Ärztin für Schweizer Patienten berichtet von ihrer Tätigkeit

Interview Autor: Anouschka Wasner

Die meisten ihrer Fernkonsultationen laufen noch über das Telefon, erzählt Hausärztin Dr. Martina Bischoff. Die meisten ihrer Fernkonsultationen laufen noch über das Telefon, erzählt Hausärztin Dr. Martina Bischoff. © privat, iStock.com/bluebearry, MT-Grafik
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Dr. Martina Bischoff ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinischen Biometrie und Statistik in der Sektion Versorgungs- und Rehabilitationsforschung der Universitätsklinik Freiburg. Seit einigen Jahren arbeitet sie als Teleärztin für das schweizerische Unternehmen Medgate, das bereits seit dem Jahr 2000 schweizerischen Patienten mit einem bestimmten Versicherungstarif Telekonsultationen anbietet.

Frau Dr. Bischoff, was hat Sie dazu gebracht, sich als Teleärztin für die Schweiz zu bewerben? 
Dr. Martina Bischoff:
 Ich habe sieben Jahre lang im Qualitätsmanagement an der Universitätsklinik gearbeitet und war also lange raus aus der aktiven Patientenversorgen. Die Telekonsultation war für mich ein super Wiedereinstieg: Ich kann flexibel, zu allen Tageszeiten und in Teilzeit arbeiten, sodass immer Zeit für meine Familie bleibt. Außerdem bedeutet die Telemedizin für mich eine Herausforderung, an der ich unbedingt teilhaben möchte – ich bin davon überzeugt, dass die technische Weiterentwicklung in den hausärztlichen Versorgungsstrukturen wichtig ist. Was gefällt Ihnen an der Aufgabe, als Teleärztin zu arbeiten? 
Dr. Bischoff:
 Ich finde die Vielseitigkeit wirklich reizvoll. Ich habe mit sehr unterschiedlichen Patienten zu tun, vom Kleinkind bis zum Senior, und bin mit einer breiten fachlichen Palette konfrontiert, die von der Allgemeinmedizin über Pädiatrie, Geriatrie und Gynäkologie bis zur Dermatologie reicht. Das Angebot ist ja gezielt niederschwellig – es rufen also wirklich Patienten mit den unterschiedlichsten Anliegen an! Das macht es spannend und auch herausfordernd. Und ich bin ganz am Patienten dran. Wenn ich mit jemandem telefoniere, ist tatsächlich nur dieser eine Patient für mich wichtig. Das weiß der Patient zu schätzen – in der Praxis hat man diese Ruhe nicht immer! Mit welchen Beschwerden rufen die Patienten bei Ihnen an? 
Dr. Bischoff:
 In der Schweiz gibt es Versicherungsmodelle, die den Patienten verpflichten, sich mit allen Anliegen immer zuerst bei der Telekonsultation zu melden. Die Anliegen der Patienten sind also vergleichbar mit denen in einer Hausarztpraxis: Es kommen besonders Infekte wie Sinusitis, Bronchitis, Tonsillitis, Konjunktivitis vor, dazu akute Rückenschmerzen und kleinere Hauteffloreszenzen. Das würde in Deutschland ähnlich aussehen. Bei solchen Beschwerden sind die Patienten dankbar, wenn sie nicht aus dem Haus in den Bus und dann ins überfüllte Wartezimmer müssen – wo sie auch noch andere anstecken könnten. Neben den typischen Akut­erkrankungen gibt es dann noch die Notfälle – etwa allergischer Schock oder Suizidalität. In diesen Fällen rufe ich über eine Kontaktleitung den Notarzt und gebe ihm selbst alle notwendigen Informationen. Wenn nötig, bleibe ich telefonisch beim Notfallpatienten und kann ihn – oder auch den Nachbarn – anleiten, dass er z.B. die Wohnungstür öffnen soll oder wie er lebensrettende Maßnahmen einleitet.

Dr. Bischoff versorgt Ihre Patienten am Telefon

Die meisten ihrer Fernkonsultationen laufen noch über das Telefon, erzählt sie – obwohl Videokonsultationen technisch gesehen für die Patienten keinerlei Hürde darstellen würden. Dr. Bischoff glaubt, dass die Patienten die anonymere Atmosphäre am Telefon schätzen. Auch ihr gefällt diese Art des Kontaktes: Am Telefon sei man sehr auf das Gegenüber konzentriert. „Dabei entsteht eine Beziehung, die zwar vielleicht nur von 10 Minuten Dauer ist, aber jedes Mal wieder sehr intensiv.“ Und wenn sie das geschwollene Auge, den entzündeten Rachen oder die Hauteffloreszenz sehen möchte, lässt sie die Patienten ein Foto davon machen und sich dieses per Mail oder App auf ihren Bildschirm schicken.

Haben Sie auch schon mal gedacht: Verflixt, diesen Patienten hätte ich jetzt lieber vor mir sitzen? 
Dr. Bischoff:
 Wenn man in der Telekonsultation arbeitet, macht man die Erfahrung, dass man auf ein großes Versorgungsnetz zurückgreifen kann. Deswegen entstehen solche Situationen fast gar nicht – alles, was ich sehen will, sehe ich auf Bildern oder Videos. Ist trotzdem ein direkter Arzt-Patienten-Kontakt nötig, leite ich an einen anderen Leistungserbringer im Netzwerk oder den Facharzt weiter. An guten Tagen kann ich etwa 50 % meiner Patienten selbst behandeln. Manchmal häufen sich aber auch die Notfälle, dann ist es mehr als die Hälfte, die ich weiterleiten muss. Wie läuft denn so eine Konsultation ab? Haben Sie eine Patientenakte zur Hand? 
Dr. Bischoff: 
Wer schon mal bei der Telekonsultation angerufen hat, für den gibt es auch eine Patientenakte mit Vorerkrankungen, Medikation, Allergien und Sozialanamnese. Ansonsten ist es mein Job, die Anamnese zu erheben. Zunächst frage ich nach dem Namen, dem Geburtsdatum.Damit kläre ich nicht nur, ob die Angaben mit meinen übereinstimmen, sondern auch, ob mich der Patient versteht. Dann frage ich nach den Beschwerden und lasse mir gegebenenfalls Bilder schicken. Liegt alles auf dem Tisch, fasse ich zusammen, was ich aufgenommen habe und welche Dia­gnose gestellt werden kann. Ist kein direkter Arztkontakt nötig, lege ich die Therapie fest und wir besprechen, was der Patient tun muss, wenn Warnsymptome auftreten wie steigendes Fieber, starke Schmerzen oder neurologische Ausfälle. Im Anschluss an die Konsultation schicke ich dem Patienten per Mail oder App noch einen schriftlichen Behandlungsplan. Davon unabhängig gibt es die Möglichkeit des Follow-ups, das heißt, dass ich mich ein paar Tage nach der Telekonsultuation wieder bei dem Patienten melde, um den Verlauf zu besprechen und die Therapie anzupassen, wenn nötig. Woran orientieren Sie sich medizinisch, an den AWMF-Leitlinien? 
Dr. Bischoff:
 Natürlich sind die AWMF-Leitlinien die Grundlagen der ärztlichen Tätigkeit – aber: Es ist wichtig, die Grenzen der Telemedizin zu kennen und zu definieren. Hat ein Kind zwei Tage lang Fieber und die Behandlung greift nicht, muss es natürlich zum Kinderarzt. Oder wenn ein Kopfschmerz neu mit einer Stärke von 8 bis 10 auf der Rating-Skala auftritt – dann muss der Patient gesehen werden und weitere Diagnostik folgen. Diese engeren Grenzen müssen definiert werden. Es braucht meines Erachtens für die Telemedizin also so etwas wie eine Ergänzung zu den Leitlinien. Was möchten Sie Ihren zögernden Kollegen in Deutschland sagen? 
Dr. Bischoff:
 Baut eure Vorurteile ab, lasst euch auf Telemedizin ein, sprecht mit jemandem, der schon Erfahrung damit hat! Viele Kollegen lehnen die Telekonsultation ab, weil sie ihre Patienten dabei nicht körperlich untersuchen können. Dabei ist das überhaupt kein Problem! Im Gegenteil, die Patienten übernehmen über die angeleitete Selbstuntersuchung auf einmal Selbstverantwortung. Bei einem akuten Abdomen bitte ich den Patienten z.B. im Liegen und mit angewinkelten Beinen vorsichtig mit den Fingern in der Nabelregion auf seinen Bauch zu drücken. Die meisten Patienten können das gut umsetzen. Sagt der Patient dann, dass ihm alles weh tut, gelange ich an meine Grenzen und muss ihn sofort in die Klinik schicken, da ich keine differenzierte Diagnose stellen kann. Sagt der Patient aber, dass die Bauchdecke überall weich ist und nur im linken Unterbauch sei das Drücken unangenehm – dann können wir gemeinsam weitersehen. Auf diese Weise bekommt der Patient eine andere Wahrnehmung für sein Befinden. Die Einschätzung, ob der Patient in der Lage ist, seine Situation zu beurteilen, oder ob die Situation durch Angst überlagert ist, kann ich am Telefon genauso gut treffen wie in der Arztpraxis. Wie könnte denn die Telekonsultation in Deutschland implementiert werden? 
Dr. Bischoff:
 Die Telekonsultation ist ein sehr niedrigschwelliges Angebot: Ich habe jederzeit an jedem Ort Zugang zu dieser Art ärztlicher Versorgung. Deswegen ließe sie sich gut in der ländlichen Versorgung einsetzen. Dabei könnten sich z.B. auf regionaler Ebene einige Hausärzte zusammentun, die jemanden anstellen, der die Telefontriage vornimmt. Genauso könnte aber auch eine überregionale Stelle die Konsultationen annehmen und bei Bedarf auf die Praxen vor Ort verteilen – die Patienten, die keinen direkten Arzt-Patienten-Kontakt benötigen, wären dann ja schon versorgt. Patienten, die in die Notaufnahme gehören, könnten genauso direkt dorthin geleitet werden. Mit einer vorgeschalteten Steuerung könnte man also auch das Problem der überfüllten Notaufnahmen lösen. Sie haben uns überzeugt, dass Telekonsultation für Patienten, für Notaufnahmen und auch für Ärzteverbünde ein Mehrwert sein kann. Aber was ist mit dem Arzt in der Einzelpraxis, kann der auch profitieren? 
 Dr. Bischoff:
 Allein praktizierende Ärzte denken ja oft, Telekonsultation würde für sie als Praxisbetreiber nur Mehraufwand bedeuten. Und dabei haben sie doch eh schon so viele Patienten. Wir können aber davon ausgehen, dass ein Einzelarzt über eine Telefonsprechstunde von zum Beispiel 7:30 bis 9 Uhr entlastet würde. Denn er könnte Patienten – auch solche, die er nicht persönlich kennt –, die nur einen Rat, eine AU-Bescheinigung oder ein Rezept brauchen, bereits am Telefon versorgen! Dann hat er für die anderen Patienten, die eine physische Konsultation benötigen, im Nachgang mehr Zeit, mehr Raum und mehr Mitarbeiter zur Verfügung. Das scheint mir doch ein wirklich großer Vorteil zu sein.
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