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Erste Ausfahrt Notaufnahme

Gesundheitspolitik Autor: Antje Thiel

Fährt der Rettungswagen vor, geht es um schnelle Hilfe. Doch zu viele Patienten erklären sich selbst zum Notfall. Fährt der Rettungswagen vor, geht es um schnelle Hilfe. Doch zu viele Patienten erklären sich selbst zum Notfall. © iStock/alexander_h_schulz
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Die PiNo*-Studie liefert aktuelle Daten zur gesundheitlicher Selbsteinschätzung und zur Motivation von Patienten, die Notaufnahmen aufsuchen. Offensichtlich haben diese eine Affinität für Krankenhäuser. Allerdings hält nur jeder zweite Patient, seine Beschwerden selbst für dringlich.

Zwischen Oktober 2015 und Juli 2016 wurden in drei Hamburger Krankenhäusern sowie zwei Kliniken in Schleswig-Holstein insgesamt 1299 Patienten befragt. Ziel war es herauszufinden, wer die Notaufnahme aus welchen Gründen aufsucht und wie dringlich er diesen Besuch selbst einschätzt.

Die zentrale Erkenntnis, die Studienleiter Professor Dr. Martin Scherer vom Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) im Rahmen des Symposiums „Überfüllte Notaufnahmen?“ präsentierte: Nur 45 % der befragten Patienten hielten ihre Beschwerden selbst für wirklich dringlich. Und diese Selbsteinschätzung stimmt längst nicht immer mit der Einschätzung des Pflegepersonals überein – der Anteil echter Notfälle ist also eigentlich noch geringer.

Auch weitere Zahlen geben Anlass zur Sorge: So kannte nicht einmal ein Drittel der Patienten den Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung, der bundesweit unter der Nummer 116 117 zu erreichen ist. Mehr als die Hälfte wusste nicht Bescheid über die nächstgelegene Notfallpraxis. Gut ein Viertel gab an, dass sie die Notaufnahme aufsuchen, weil keine Hausarztpraxis geöffnet habe.

Menschen wissen nicht, wann sie wo hingehen sollten

Prof. Scherer schließt aus den Daten, dass hinter der Inanspruchnahme der Notaufnahme im Krankenhaus „ein Potpourri individueller Beweggründe und Erwartungen“ steckt: „Da gibt es zum einen eine gewisse Affinität zum Krankenhaus an sich. Patienten glauben, dort gut versorgt zu werden, weil immer jemand da ist und alle Fachrichtungen vertreten sind – selbst wenn man dafür ein paar Stunden Wartezeit in Kauf nehmen muss.“

Zum anderen offenbart die PiNo- Studie aus seiner Sicht eine erschreckend geringe Gesundheitskompetenz der Patienten – und zwar sowohl was die Einschätzung der eigenen Symptome als auch die Kenntnis des ambulanten Versorgungsangebots angeht: „Viele Menschen wissen einfach nicht, mit welchen Beschwerden man wann wo hingehen sollte“, erklärt Prof. Scherer.

„Wollen wir die freie Arztwahl erhalten oder einschränken?“

Manche Gesundheitspolitiker oder Standesvertreter glaubten, dass Patienten sich im Grunde nicht umerziehen oder steuern lassen. Andere würden angesichts der offensichtlichen Fehlsteuerung in Notaufnahmen am liebsten eine Eigenbeteiligung oder Gebühr für Patienten einführen. Prof. Scherer verbindet mit dem Problem eine gesellschaftspolitische Frage: „Wollen wir die freie Arztwahl erhalten oder wollen wir Patienten gezielt steuern?“

Der Allgemeinmediziner selbst setzt auf Kommunikation und Gesundheitserziehung, selbst wenn es sich dabei um ein Generationenprojekt handelt. „Patienten müssen ein besseres Bewusstsein für ihren eigenen Körper und seine Symptome entwickeln. Außerdem brauchen wir ein Erwartungsmanagement im Gesundheitswesen. Wenn Patienten klar ist, welche Versorgung sie an welcher Stelle realistischerweise erwarten dürfen, dann ist das ein sanfterer Weg als gleich die freie Arztwahl einzuschränken“, meint Prof. Scherer.

Mehr Informationen über die Notdienstnummer 116 117

Den langen Weg der Kommunikation unterstützen auch die KV-Vorstände aus Hamburg und Schleswig-Holstein. Sie wollen die 116 117 des kassenärztlichen Notdienstes bekannter machen und die Bevölkerung intensiver darüber informieren, welche Erkrankungen in der Regel ambulant behandelt werden.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht
*PiNo: Patientinnen und Patienten in Notaufnahmen

Prof. Dr. Martin Scherer, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für
Allgemeinmedizin Prof. Dr. Martin Scherer, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin © Uke
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