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Hilfe zum Suizid: Kammerchefs sehen Freisprüche für zwei Ärzte kritisch

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Freisprüche der beiden Ärzte werden von ärztlichen Organisationen eher kritisch gesehen. Die Freisprüche der beiden Ärzte werden von ärztlichen Organisationen eher kritisch gesehen. © Maksym Yemelyanov – stock.adobe.com
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Die Freispruch-Urteile des Bundesgerichtshofs für zwei Mediziner, die Menschen geholfen haben, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, finden Vertreter von Ärztekammern bedenklich: Die Beteiligung an Selbsttötungen sei keine ärztliche Aufgabe.

Die von den Staatsanwaltschaften eingelegten Revisionen verwarf der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH): Rechtsfehlerfrei hätten die Landgerichte Hamburg und Berlin keine die Eigenveranwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. „Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden“, so die Begründung. Die Sterbewünsche hätten auf einer im Lauf der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit“ beruht und seien nicht Ergebnis psychischer Störungen gewesen.

„So hätten sicherlich viele Ärzte reagiert“

Der Berliner Arzt Dr. Christoph Turowski erhielt vom BGH noch einmal die Gelegenheit, sich zu äußern: „Für mich als Arzt und Vertrauter von Anja D. war dies eine in höchstem Maße schwierige Konfliktsituation, wie sie in einer normalen Hausarztpraxis sicherlich nur sehr selten vorkommt. Was sollte ich tun? Ihr Ansinnen der Suizidhilfe von mir weisen und sie in den furchtbaren, einsamen Schienensuizid entlassen? So hätten sicherlich viele Ärzte reagiert.“

Wie viele Kollegen tatsächlich in ähnlichen Situationen so handeln bzw. handeln würden, ist unbekannt. Denn Suizidhilfe ist ein Tabuthema.

Leiden lindern, lebensorientiert behandeln

Vertreter von ärztlichen Organisationen kommentierten die Karlsruher Entscheidung tendenziell kritisch. „Die Bundesärztekammer wird die rechtlichen Aspekte und Implikationen des heutigen Urteils eingehend prüfen und gemeinsam mit den Landesärztekammern beraten“, erklärte Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt. Die Beteiligung an Selbsttötungen zähle nicht zu den ärztlichen Aufgaben. Es sei vielmehr Aufgabe von Ärzten, das Leben zu erhalten, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. „Daher sollten ärztliche Handlungen auf eine lebensorientierte Behandlung abzielen und Leiden durch eine geeignete schmerzmedizinische Versorgung lindern.“ Für Beistand und Fürsorge statt Hilfe zur Selbsttötung plädierte auch Rudolf Henke als Vorsitzender des Marburger Bundes.

Dr. Emami: Änderung des § 217 StGB war notwendig

Dr. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg, bemerkte enttäuscht: „Es war zwar zu erwarten, dass der BGH den Wunsch des Sterbewilligen an erster Stelle sieht, die Rechtslage war 2012 zudem noch eine andere, aber ich hatte auf ein anderes Ergebnis gehofft.“ Dieser Fall sei für ihn Beleg dafür, dass die Änderung des § 217 Strafgesetzbuch, der die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ seit 2015 verbietet, notwendig und richtig war, um weitere Fälle wie diese zu verhindern.

Von einem großen Tag für das Selbstbestimmungsrecht sprach die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben anlässlich der BGH-Entscheidung. Die beiden Urteile seien von grundsätzlicher Bedeutung, durch sie werde die stark umstrittene Entscheidung des 3. Strafsenats aus dem Jahr 1984 (Az.: 3 StR 96/84) Rechtsgeschichte. In dieser Entscheidung waren die Rettungspflicht des Arztes bei eintretender Bewusstlosigkeit des Suizidenten sowie dessen Pflicht zur präventiven Verhinderung des Suizids bejaht worden. 

Quelle: BGH-Urteile vom 3. Juli 2019; Az.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18

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