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Spezialgebiete und Berufsgruppen müssen mehr kooperieren

Interview Autor: Cornelia Kolbeck

Prof. Dr. Monika Kellerer (Leitlinienbeauftragte DDG) und Prof. Dr. Baptist Gallwitz (Präsident DDG) im Interview. Prof. Dr. Monika Kellerer (Leitlinienbeauftragte DDG) und Prof. Dr. Baptist Gallwitz (Präsident DDG) im Interview. © zVg
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Circa 18,5 Mio. Menschen werden pro Jahr in deutschen Krankenhäusern medizinisch versorgt, jeder dritte dieser Patienten hat Diabetes – entweder weiß er schon davon oder in der Klinik wird die Erkrankung diagnostiziert. Meist ist es nur eine Nebendiagnose. Die DDG hat ein Positionspapier entwickelt, das in der Behandlung dieser Nebendiagnose als Richtschnur gelten soll. Details dazu nennen Professor Dr. Monika Kellerer und Professor Dr. Baptist Gallwitz.

Es gibt bereits zahlreiche Versorgungsleitlinien und evidenzbasierte Leitlinien, die die DDG ent­wickelt bzw. mitentwickelt hat. Warum jetzt noch ein Positionspapier zum "Diabetes im Krankenhaus"?

Prof. Gallwitz: Im Krankenhaus ist Diabetes gerade bei den älteren und multimorbiden Patienten immer häufiger zu beobachten. Er kann, wenn er nicht optimal mitbehandelt wird, zu gravierenden Behandlungskomplikationen – besonders nach operativen Eingriffen – oder zu einer verlängerten Liegezeit im Krankenhaus beitragen. Als Beispiele bei schlechter Diabeteseinstellung seien hier Wundheilungsstörungen, systemische Infektionen und gefährliche Medikamenteninteraktionen, besonders bei eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion, genannt. Das führt zu schlechteren Behandlungsergebnissen und zu einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko.

Was will die DDG mit dem Papier erreichen?

Prof. Gallwitz: Patienten, die nicht primär wegen des Diabetes im Krankenhaus sind, sondern diesen als Nebendiagnose haben, brauchen einen besonderen und anderen Behandlungspfad, der das berücksichtigt. Oft kann auch die zu Hause durchgeführte Diabetestherapie im Krankenhaus bei einer anderen akuten Situation nicht wie vorher weitergeführt werden und muss kurzfristig umgestellt werden. Solche Änderungen und auch Rückumstellungen vor Entlassung müssen geplant werden. Die DDG möchte mit diesem Positionspapier hier praktische Unterstützung geben und auch die Fachdisziplinen ansprechen, die nicht primär Diabetes behandeln, aber immer mehr Menschen mit dieser Erkrankung. Die DDG will die Versorgung optimieren. Das kommt nicht nur den Patienten direkt zugute, sondern spart auf längere Sicht auch Kosten durch kürzere Liegezeiten im Krankenhaus und durch eine Reduktion der Komplikationen.

Was wird den Krankenhäusern konkret empfohlen?

Prof. Gallwitz: Die DDG möchte als interdisziplinäres und multiprofessionelles Fach Hilfestellung bieten und die Zusammenarbeit verschiedener Spezialgebiete und Berufsgruppen erleichtern. Im Papier sind Situationen beschrieben, wann welche konsiliarischen Dienste sinnvoll sind. Sehr konkret geht es in diesem Papier aber auch um die im Krankenhaus oft schwierigere Diabetesbehandlung und darum, wie diese angepasst werden kann. Die „Diabetes-Kompetenz“ im Krankenhaus kann mit einem solchen Positionspapier erhöht werden.

Sind die Defizite in den Kliniken tatsächlich so gravierend?

Prof. Kellerer: Das kommt darauf an. Wir haben in Deutschland einige stationäre Diabeteseinrichtungen, die einen sehr hohen Standard in der Behandlung von Patienten mit Diabetes haben. Dies sind in der Regel auch solche Abteilungen, die eine Ausbildungsbefugnis für angehende Diabetologen und Endokrinologen haben. In manchen Häusern wurden jedoch selbstständige Diabetesabteilungen aufgegeben, sodass Expertise verloren ging. In den meisten Krankenhäusern findet sich aber überhaupt keine diabetologische Anbindung.

Was sind die Problemkonstellationen in Zusammenhang mit Diabetes mellitus?

Prof. Kellerer: Die zunehmende Zahl an Menschen mit Diabetes mellitus in Kliniken – mindestens ein Viertel aller Patienten eines Akutkrankenhauses haben die Nebendiagnose Diabetes – und die geringe Zahl an Kliniken mit diabetologischer Expertise können dazu führen, dass vermehrt diabetesbedingte Komplikationen während des Klinikaufenthalts auftreten.

Acht Seiten sind allein operativen Eingriffen gewidmet. Was sind die größten Defizite bezüglich Diabetes?

Prof Kellerer: Das beginnt oft schon vor dem stationären Aufenthalt. Idealerweise sollte der Blutzucker vor einer geplanten Op. möglichst gut und stabil eingestellt sein. Dies wird häufig nicht beachtet und kann im perioperativen Verlauf zu erheblichen Komplikationen wie beispielsweise erhöhter Infektneigungen, schlechter Wundheilung und zu einem verlängertem Krankenhausaufenthalt führen. Ich kenne chirurgische Abteilungen, die elektive operative Eingriffe nur bei guter und stabiler Stoffwechseleinstellung durchführen – das ist aber leider eher die Ausnahme als die Regel. Bei nichtelektiven Eingriffen kommen häufig auch akute Glukose­stoffwechselentgleisungen erschwerend hinzu. Und eine parenterale Ernährung oder Sondenkost können die Diabeteseinstellung vollkommen auf den Kopf stellen.

Patienten sind oft sehr beunruhigt, wenn sie ihre Diabeteseinstellung aufgrund einer akuten Erkrankung in fremde Hände geben müssen. Sie hoffen, dass jemand vor Ort ist, der genügend Erfahrung mit intensivierten Insulintherapieformen hat. Gut informierte Patienten mit Dia­betes suchen sich deshalb häufig auch gezielt Kliniken mit diabetologischer Expertise für planbare Eingriffe aus.

Die Evidenzlage, schreiben die Autoren des Positionspapiers, ist für viele der dargestellten Situationen z.T. lückenhaft. Was bedeutet das?

Prof. Gallwitz: Viele der Empfehlungen sind nicht durch randomisierte prospektive Studien bewiesen, sondern beruhen auf Beobachtungen, die einen geringeren Evidenzgrad haben. Erkenntnisse zur Diabetesbehandlung, die für "Alltagsbedingungen" gewonnen wurden, sind, wo immer möglich und sinnvoll, übernommen.

Die lückenhafte Evidenz ist auch der Tatsache geschuldet, dass multimorbide Patienten mit Diabetes und möglicherweise schlechter Stoffwechsellage nicht leicht in einem Studiensetting behandelt werden können. Einige der Situationen, die für multimorbide Patienten im Krankenhaus beschrieben sind, sind so komplex, dass nicht zu erwarten ist, dass es über den Evidenzgrad der Beobachtung oder der Expertenmeinung hinaus Daten als weitere Entscheidungsgrundlage geben wird. Wir denken, dass das Positionspapier ein erster wichtiger Schritt für die Patienten und Behandler ist und es sich weiterentwickeln wird.

Das Positionspapier ist sehr umfangreich. Werden Kliniken es überhaupt umsetzen können?

Prof. Kellerer: Das Positionspapier ist u.a. deshalb so umfangreich, weil die Diabetologie im stationären Umfeld sich als Querschnittsfach entwickelt hat und die Erkrankung zahlreiche Prozesse beeinflusst. Das sollte möglichst umfassend abgedeckt werden. In der Praxis wird sich eine Geburtshilfe­abteilung, operative Abteilung oder Intensivstation natürlich nur den für sie relevanten Teil aus dem Positionspapier herausgreifen – anders war das auch trotz des großen Umfangs nicht gedacht.

 

Kurzbiografie Prof. Dr. Monika Kellerer

Professor Dr. Monika Kellerer arbeitet am Zentrum für Innere Medizin I im Marienhospital Stuttgart. Die Internistin forscht auf den Gebieten Insulinresistenz und Insulinsekretion bei Typ-2-Diabetes. 1992 wurde sie mit dem Ferdinand-Bertram-Preis der DDG ausgezeichnet. Sie war Mitglied und Gutachterin der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Derzeit ist sie Leitlinienbeauftragte der DDG.



Kurzbiografie Prof. Dr. Baptist Gallwitz

Der Internist Professor Dr. Baptist Gallwitz ist seit 2015 Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft. 2006 wurde er zum stellv. Direktor der Medizinischen Klinik IV an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen ernannt. An der Uniklinik forscht der gebürtige Karlsruher zur Rolle der Inkretinhormone bei Typ-2-Diabetes und deren Wirkung auf die Bauchspeicheldrüse, das viszerale Fettgewebe und den Energiehaushalt.

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