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Vom Überzeugungstäter zum Sklaven

Autor: Erich Kögler

Wer will sich schon unter das Skalpell eines Chir­urgen begeben, der seit mehr als zwanzig Stunden auf den Beinen ist? Wer will sich schon unter das Skalpell eines Chir­urgen begeben, der seit mehr als zwanzig Stunden auf den Beinen ist? © iStock.com/artpipi
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Arbeitszeiten – in unserer Meinungskolumne "Mit spitzer Feder".

Die Arbeitszeiten von Fluglotsen an deutschen Airports sind klar geregelt. Sie arbeiten vier Tage am Stück, nicht mehr als jeweils acht Stunden und haben anschließend zwei bis drei Tage frei. Während eines Arbeitstags haben sie nach jeweils zwei Stunden im Einsatz eine längere Pause. Ähnlich verhält es sich bei Busfahrern, deren Lenk- und Ruhezeiten eindeutig vorgeschrieben sind und über den Fahrtenschreiber präzise dokumentiert werden, sodass die Polizei die Einhaltung dieser Regeln jederzeit kontrollieren kann. Ganz anders sieht es bei Assistenz­ärzten an deutschen Kliniken aus, wie eine Umfrage des Hartmannbundes schonungslos offenbarte. Zehn Überstunden und mehr pro Woche sind demzufolge die Regel. Jeder zweite Arzt in Weiterbildung ist von seinem Arbeitgeber bereits aufgefordert worden, Überstunden nicht zu dokumentieren, Pausenzeiten können von der Hälfte der Befragten selten oder nie eingehalten werden.

Revolution? Fehlanzeige! Vielleicht ab und zu ein mickriges Reförmchen

Der Aufschrei über diese skandalösen Zustände erfolgt regelmäßig in der Publikumspresse, in den Verbänden, manches Klinikpersonal ruft zur Revolte. Was folgt? Revolution – Fehlanzeige! Wenigstens ein kleines Reförmchen zur Abmilderung des Schlimmsten? Hin und wieder. Die Bilanz insgesamt ist miserabel.

Den SOS-Ruf der jungen Ärzte-Generation sollte man sehr ernst nehmen, denn wenn immer mehr Nachwuchs-Mediziner angesichts derart mieser Rahmenbedingungen frühzeitig die Flinte ins Korn werfen, sehe ich für die Zukunft schwarz. Besonders bedenklich erscheint diese Entwicklung vor dem Hintergrund, dass die meisten Anfänger durchaus mit viel Idealismus diesen Weg eingeschlagen haben. Wer bis zu 15 Semes­ter auf einen Studienplatz gewartet hat, hat schließlich hinlänglich bewiesen, ein „Überzeugungs­täter“ zu sein.

Noch ist an den Universitäten der Andrang auf das Medizinstudium groß. Es gibt nach wie vor etwa fünf Bewerber auf einen Studienplatz, doch schließen nicht alle ihr Studium ab und viele gehen schon heute nach dem Studium nicht ins Krankenhaus, sondern zu Behörden, Krankenkassen oder in die Gesundheitswirtschaft. Diese Bereiche locken die Absolventen mit sehr guten Verdienstmöglichkeiten und geregelten Arbeitszeiten – etwa dreißig Prozent der Ärzte arbeiten in diesem Bereich. Ein Teil der jungen Mediziner sucht gleich das Weite – wo etwa in Skandinavien oder in der Schweiz ungleich attraktivere Arbeitsbedingungen locken.

Ein Krankenhaus ist in heutiger Zeit fraglos auch ein Wirtschaftsbetrieb, doch muss es möglich sein, eine für Arzt und Patient gleichermaßen befriedigende Situation zu schaffen. Es kann und darf nicht sein, dass ein Assistenzarzt am Wochenende fünfzig Notfälle in der Ambulanz zu versorgen hat und gleichzeitig alleine für die Betreuung der stationär untergebrachten Patienten verantwortlich ist. Kein Wunder angesichts derart verheerender Zustände, dass sich mancher mittlerweile vor Auskunft suchenden Angehörigen regelrecht versteckt, um Zeit zu sparen.

Diese Missstände müssen ein Ende haben, es ist höchste Zeit! Schließlich tragen Ärzte nicht weniger Verantwortung als Fluglotsen und Busfahrer. Und wer will sich schon unter das Skalpell eines Chir­urgen begeben, der seit mehr als zwanzig Stunden auf den Beinen ist?

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