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Akuten Brustschmerz in der Hausarztpraxis abklären

Autor: Dr. Alexandra Bischoff/Dr. Anja Braunwarth

Bei jedem Zweiten bis Vierten ist es nur eine Muskelverspannung, doch das muss der Arzt erst einmal erkennen. Bei jedem Zweiten bis Vierten ist es nur eine Muskelverspannung, doch das muss der Arzt erst einmal erkennen. © iStock/kupicoo
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Kommt ein Patient mit akutem Brustschmerz zu Fuß in die Praxis, steckt laut Ärzten eher keine lebensbedrohliche Erkrankung dahinter. Dennoch ist der Spagat zwischen Abwarten und rechtzeitigem Erkennen von etwas Ernstem nicht immer einfach.

Akute Brustschmerzen machen Angst – nicht nur dem Kranken, sondern oft auch dem Arzt. Mit zunehmendem Alter stellen sie immer öfter den Grund für einen Besuch beim Hausarzt dar, die höchste Inzidenz weisen mit 3,7 % 45- bis 64-Jährige auf. Die meisten Patienten können abschließend in der allgemeinmedizinischen Praxis versorgt werden, dennoch darf man natürlich nichts übersehen.

Die Mehrzahl der Betroffenen lokalisiert die Beschwerden im Bereich des linken vorderen Hemithorax zwischen Sternum und vorderer Axillarlinie. Häufigste Ursache in der Primärversorgung ist mit 24,5–49,8 % ein Brustwandsyndrom, schreiben Privatdozent Dr. Guido Schmiemann von der Abteilung für Versorgungsforschung der Universität Bremen und Professor Dr. Stefan­ Frantz, Medizinische Klinik am Universitätsklinikum Würzburg. Weit abgeschlagen folgen kardiovaskuläre (13,8–16,1 %) und pulmo­nale (10,3–18,2 %) Erkrankungen.

Sechs Gründe, den Notarzt zu rufen

Je nach Anamnese und klinischer Symptomatik entscheiden Sie, ob Sie ein abwartendes Offenhalten (aktiver Verzicht auf weiterführende Diagnostik) vertreten können oder ein „abwendbar gefährlicher Verlauf“ droht, also eine evtl. fatale Entwicklung einer schweren Erkrankung, die sich durch rechtzeitiges Erkennen und Behandeln vermeiden lässt.

Zunächst sollten Sie die Dringlichkeit der Beschwerden klären. Folgende Kriterien machen nach der Leitlinie Brustschmerzen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin eine Situation potenziell lebensgefährlich und erfordern die sofortige Krankenhauseinweisung:

  • Zeichen des akuten Kreislaufversagens
  • Bewusstseinstrübung und/oder Verwirrtheit
  • unmittelbar vorangegangene Synkope oder Kollaps
  • Kaltschweißigkeit
  • aktuell Dyspnoe in Ruhe
  • ausgeprägte Angst

Liegt keines dieser Zeichen vor, können Sie erst einmal aufatmen und versuchen, die Beschwerden besser einzuordnen. 

Richtig oder falsch?

Ein 55-Jähriger sucht morgens die hausärztliche Sprechstunde aufgrund von linksthorakalen Brustschmerzen auf, die seit den frühen Morgenstunden bestehen. Der Mann ist kaltschweißig und klagt über Übelkeit. Man weiß von einem langjährigen Hypertonus und Nikotinabusus. Nach einer kurzen Anamnese wird der Notarzt gerufen und der Patient gleichzeitig versorgt (i.v. Zugang, Schmerzmedikation, EKG). Richtiges Vorgehen? Ja, sagen die Autoren. Hier besteht der dringende Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom, und egal, was die Diagnostik in der Praxis ergibt (EKG, Schnelltest auf D-Dimere, Troponin), muss der Patient umgehend und in Begleitung eines Notarztes in die Klinik.

Verdacht auf KHK

Besteht der Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung, sollten Sie natürlich zunächst die bekannten Risikofaktoren in die Waagschale werfen. Ergänzend kann der Marburger Herz-Score (s. untere Tabelle) hilfreich sein. Falls sich der Verdacht erhärtet, muss ein akutes Koronarsyndrom ausgeschlossen werden, d.h., EKG schreiben, Troponintest und im Fall der Fälle oder beim geringsten Zweifel – negative Ergebnisse geben keine letzte Sicherheit – den Notarzt rufen. Zum Glück bestätigt sich bei den meisten Patienten in der Klinik der akute Infarkt nicht.
Marburger Herz-Score
Kriterien
ja
nein
Höheres Alter (Männer > 55 Jahre, Frauen > 65 Jahre)10
Vermutet der Patient ursächlich eine kardiale Erkrankung?10
Sind die Schmerzen abhängig von körperlicher Belastung?10
Lassen sich die Schmerzen durch Palpation reproduzieren?01
Ist eine vaskuläre Erkrankung bekannt?10
Beträgt der Scorewert ≤ 2 Punkte, liegt die Wahrscheinlichkeit für eine KHK bei weniger als 5 %

Verdacht auf akute Lungenembolie

Eine akute Lungenembolie ist selten und bedarf der stationären Behandlung. Der Wells-Score (s. obere Tabelle) bietet Unterstützung in der Abschätzung der Wahrscheinlichkeit. Bei hohem Risiko sollten umgehend ein CT sowie eine Echokardiographie durchgeführt werden. Liegt das Risiko auf mittlerem Niveau, empfehlen sich weitere Untersuchungen wie beispielsweise der D-Dimer-Test.
Well-Score
Kriterium
Punktzahl
Zeichen einer tiefen Beinvenenthrombose3
keine andere Diagnose ist wahrscheinlicher3
Herzfrequenz > 100/min.1,5
Bettruhe oder OP in den letzten 4 Wochen1,5
Lungenembolie oder tiefe Beinvenenthrombose in der Vorgeschichte1,5
Hämoptoe1
Therapie eines Karzinoms in den letzten 6 Monaten1
0-1 Punkt(e): niedriges Risiko, 2-6 Punkte: mittleres Risiko, > 6 Punkte: hohes Risiko

Verdacht auf Atemwegserkrankung

Die Pneumonie macht zwar nur 2 % der Fälle aus, stellt aber ein gutes Beispiel für einen abwendbar gefährlichen Verlauf dar. Meist erfordert sie keine Krankenhauseinweisung. Ein jüngeres Alter (< 65 Jahre), keine schweren Grunderkrankungen, klares Bewusstsein, gesunde Werte (Puls < 120/min, Atemfrequenz < 30/min, systolischer Blutdruck > 90 mmHg, Temperatur > 35 °C und < 40 °C) und fehlende Zeichen einer schweren Pneumonie (z.B. Dyspnoe, Hypox­ämie, Pleuraerguss) sprechen für die hausärztliche Versorgung. Außerdem sollten die Patienten nicht suchtkrank sein und in der Lage, Medikamente oral zu nehmen.

Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombose

Eine tiefe Beinvenenthrombose kann in der Regel ebenfalls in der Praxis behandelt werden. Unverzichtbar ist aber ein Ultraschall. Gibt es dafür zeitnah keine Möglichkeit, sollte der Patient bis zur Diagnosestellung antikoaguliert werden.

Quelle: Schmiemann G, Frantz S. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 659-664