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Anaphylaxie: Risikofaktoren bei Patienten besser einschätzen

Autor: Dr. Elisabeth Nolde

Gut, wenn der Patient für den Anaphylaxie-Notfall einen Adrenalin-Pen zur Hand hat. Gut, wenn der Patient für den Anaphylaxie-Notfall einen Adrenalin-Pen zur Hand hat. © iStock/smartstock
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Eine Anaphylaxie erfordert die zügige Gabe von Adrenalin. Doch dieser therapeutische Goldstandard wird offenbar noch unzureichend umgesetzt.

„Wir sollten uns alle vermehrt um eine leitliniengerechte Behandlung der Anaphylaxie bemühen“, appellierte Professor Dr. Margitta Worm an ihre Kollegen. Wie die Allergologin von der Charité Universitätsmedizin Berlin ausführte, lasse sich die Versorgungslage verbessern. Zwar zeichne sich ein Aufwärtstrend ab, was die Adrenalinapplikation durch Ärzte angehe. Bei den Injektionen seitens der Patienten bzw. deren Angehörigen würden dagegen die Raten stagnieren. Und auch den Blick in andere Länder hält die Kollegin für ernüchternd: „lm europäischen Vergleich schneiden wir nicht gut ab. Aktuellen Daten zufolge applizieren Ärzte in Deutschland vergleichsweise deutlich seltener Adrenalin.“ Dabei erfordert eine anaphylaktische Reaktion laut Leitlinie kreislaufstabilisierende Maßnahmen und die intramuskuläre Gabe von Adrenalin. Dies könne die Betroffenen pulmonal und kardiovaskulär über alpha- sowie betaadrenerge Rezeptoren stabilisieren.

Patienten, die eine schwere allergische Reaktion durchgemacht haben, sollten ein Notfall-Set zur Selbst- bzw. Soforthilfe verschrieben bekommen. Dieses enthält einen Autoinjektor zur intramuskulären Adrenalingabe, ein Antihistaminikum und ein Glukokortikoid sowie gegebenenfalls zusätzlich ein Beta-2-Sympathomimetikum. Allerdings sollte die Diskussion, wer einen Adrenalinautoinjektor benötigt, differenziert geführt werden, betonte Prof. Worm. Unstrittig sei, dass Patienten, die auf geringste Mengen eines Allergens reagieren und Menschen mit Mastozytose lebenslang einen Autoinjektor brauchen.

Per Pollenkugelin die Anaphylaxie

„Super Food“ kann aus allergologischer Sicht erhebliche Risiken bergen. Beim Anaphylaxie-Register sind inzwischen fünf entsprechende Meldungen über schwere Reaktionen durch Pollenkugeln eingegangen – u.a. der Fall eines 15-Jährigen mit allergischer Rhinitis. Nach Genuss von Pollenkugeln entwickelte er binnen 30 Minuten Urtikaria, Angioödem, Juckreiz, Erythem, Atemnot, Stridor, Schluckbeschwerden und Veränderung seiner Stimme. Als Akuttherapie erhielt er intravenös Kortison. Der Haut-Pricktest ergab positive Reaktionen auf Gräser, Roggen, Beifuß, Birke, Frühblüher, Hausstaubmilben und Katze. Die Tryptase im Serum lag bei 10 µg/l. Als Notfallmedikamente bekam der Jugendliche einen Adrenalinautoinjektor, ein Antihistaminikum und Kortison verordnet.

Insektengift häufigster Auslöser bei Erwachsenen

Aus epidemiologischen Untersuchungen geht hervor, dass die Häufigkeit anaphylaktischer Reaktionen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Je nach Lebensalter finden sich unterschiedliche Auslöser. Nach Auswertungen des im deutschsprachigen Raum etablierten Anaphylaxie-Registers, das europaweit Daten erfasst, gehen die meisten Anaphylaxien im Kindes- und Jugendalter auf Nahrungsmittel zurück, Insektengifte stehen an zweiter Stelle und Medikamente an dritter. Bei Erwachsenen sind Insektengifte die häufigsten Auslöser, gefolgt von Medikamenten und Nahrungsmitteln. Doch auf was müssen wir uns im Versorgungsalltag einstellen, was sind die Topauslöser unter den Nahrungsmittelallergenen, fragte die Expertin. Eigens aufgeschlüsselte Daten aus den Jahren 2010 und 2017 zeigen, dass die Erdnuss bei Kindern am häufigsten schwere allergische Reaktionen auslöst, im Erwachsenenalter hingegen Weizen (s. Tabelle). Der Blick sollte aber auch für seltene Allergenquellen geschärft werden, so Prof. Worm. Denn trendige Ernährungsstile bringen neue Anaphylaxie-Auslöser mit sich, z.B. Jackfruit, Goji-Beeren und Pollenkugeln. Letztere finden sich u.a. als Topping auf Törtchen. Die optisch ansprechenden Pollenkugeln enthalten verschiedene Blütenpollen, die von Bienen gesammelt und zu festen Kügelchen gepresst werden.

Schwere allergische Reaktionen durch Nahrungsmittelallergene
20102017
Kinder1. Erdnuss (22 %)1. Erdnuss (25 %)
2. Kuhmilch (11 %)2. Kuhmilch (12 %)
3. Haselnuss (8 %)3. Hühnerei (11 %)
4. Hühnerei (6 %)4. Haselnuss (8 %)
5. Cashew (4 %)5. Cashew (7 %)
Erwachsene1. Weizen (12 %)1. Weizen (14 %)
2. Soja (7 %)2. Meeresfrüchte (10 %)
3. Meeresfrüchte (6 %)3. Haselnuss (7 %)
4. Sellerie (6 %)4. Soja (6 %)
5. Haselnuss (5 %)5. Sellerie (6 %)

Per Datenanalysen zu den Kofaktoren

Und auch mögliche Kofaktoren schwerer anaphylaktischer Reaktionen konnten auf Basis sorgfältiger Datenanalysen ermittelt werden:
  • Demnach liegt das Risiko für eine Anaphylaxie am höchsten, wenn Patienten ein hohes Alter aufweisen und/oder an einer Mastozytose leiden.
  • Eine mittelschwere Gefährdung ist mit nachfolgenden Faktoren assoziiert: Insekten als Auslöser, männliches Geschlecht, psychologische Belastung, Einnahme von Betablockern, generell Medikamente als Anaphylaxie-Ursache, körperliche Anstrengung und Vorerkrankungen, z.B. begleitendes Asthma.
Die Bemühungen zielen darauf ab, diese Erkenntnisse in Zukunft zu berücksichtigen, um das Risiko von Patienten besser abschätzen zu können – beispielsweise mit einem eigens entwickelten Tool, kommentierte die Allergologin.

Quelle: Allergologie im Kloster 2018