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Antikoagulation bei Beinvenenthrombosen im Unterschenkel?

DGIM 2021 Autor: Dr. Anja Braunwarth

Das Risiko für distale tiefe Venenthrombosen steigt nach OPs und ausgedehnten Phasen der Unbeweglichkeit, z. B. durch einen Gipsverband. Das Risiko für distale tiefe Venenthrombosen steigt nach OPs und ausgedehnten Phasen der Unbeweglichkeit, z. B. durch einen Gipsverband. © hriana – stock.adobe.com
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Für proximal gelegene Thrombosen am Bein gibt es klare Behandlungsrichtlinien. An Verschlüssen im Unterschenkel dagegen arbeiten sich Experten immer wieder ab. Besonders die Frage nach der Antikoagulation bewegt die Gemüter.

„Eine proximale tiefe Beinvenenthrombose kann heute jeder behandeln“ – mit diesem Statement eröffnete Professor Dr. ­Rupert Bauersachs­ von der Klinik für Gefäßmedizin am Klinikum Darmstadt seinen Vortrag. Der distale Verschluss sei im Vergleich dazu das viel komplexere und fehlerträchtigere Krankheitsbild. 

Die größte Gefahr für distale tiefe Venenthrombosen (dTVT) besteht nach kurz zurückliegenden passageren Ereignissen:

  • Gips
  • Langstreckenreise
  • OP 

Das Rezidivrisiko ist im Vergleich zu venösen Thrombembolien insgesamt gering, am ehesten muss man nach vorausgegangener beidseitiger dTVT damit rechnen. Wenn sich erneut ein Gerinnsel bildet, dann in der Regel wiederum distal, erklärte der Referent. Das schlechteste Outcome durch eine dTVT mit einer Gesamtmortalität von fast 40 % haben Menschen mit aktiver Krebserkrankung. Außerdem erleiden sie sehr viel häufiger ein Rezidiv oder schwere Blutungen.

Ob Menschen mit dTVT überhaupt der Antikoagulation bedürfen, wird heftig diskutiert und immer wieder untersucht. In der CACTUS-Studie mit 252 Patienten ohne Krebsleiden und ohne Thrombose in der Vorgeschichte brachte die Heparinisierung keinen signifikanten Vorteil gegenüber Placebo mit Blick auf die Ausdehnung nach proximal (gleichseitig/kontralateral) oder eine Lungenembolie. Dafür verzeichnete man maßgeblich mehr Blutungen in der Verumgruppe. Die Studie wurde allerdings wegen unzureichender Teilnehmerzahl vorzeitig abgebrochen. 

Eine Metaanalyse zur Gerinnungshemmung bei dTVT zeigte eine 50 %ige Reduktion in den Punkten Ausdehnung/Rezidiv durch die Gerinnungshemmung. Die allgemeine Blutungsrate stieg aber um mehr als das Doppelte, wobei sich schwere Blutungen häufiger ohne Therapie ereigneten als unter Antikoagulation. 

Prof. Bauersachs nannte die Evidenzlage insgesamt schlecht. Große Phase-3-Studien gibt es nicht und Daten zu NOAK fehlen. Auch die Leitlinien helfen nur bedingt weiter. Die deutschen Leitlinien machen keinen Unterschied zwischen Muskelvenenthrombose und dTVT und empfehlen eine Antikoagulation für maximal drei Monate, wenn kein Tumor und kein Antiphospholipid-Syndrom vorliegt. Individuell kann man die Dauer verkürzen oder eine geringere Dosis einsetzen. In den europäischen Guidelines heißt es: bei niedrigem Risiko „4–6 Wochen therapeutisch oder in geringerer Dosierung antikoagulieren oder nur beobachten“. „Da können Sie also machen, was Sie wollen“, so Prof. Bauersachs. Die Amerikaner wiederum raten – mit sehr schwachem Empfehlungsgrad – für Menschen mit leichten Symptomen und fehlenden Risikofaktoren alleine zur Ultraschallkontrolle alle zwei Wochen. Hat der Patient starke Beschwerden oder Risikofaktoren, wird er therapeutisch antikoaguliert.

Ein hohes Risiko für Patienten mit distaler Thrombose besteht bei

  • persistierenden Risikofaktoren
  • unprovozierter dTVT
  • Krebsleiden
  • anhaltend eingeschränkter Mobilität
  • Hospitalisierung
  • Z.n. venöser Thrombembolie
  • beidseitiger dTVT
  • Alter über 50 Jahre
  • Ausdehnung über die Trifurkation hinaus
  • mehr als einer betroffenen Unterschenkelvene

Dem Darmstädter Angiologen zufolge ist es durchaus vertretbar, bei niedrigem Risiko, d.h. bei transienten Auslösern, unter der Pille oder nach beendeter Hormonersatztherapie, auf die Gerinnungshemmung zu verzichten oder sie nur in prophylaktischer Dosis einzusetzen. Wichtig aber für die Betroffenen: Verschlechtert sich der Befund, müssen sie sofort vorstellig werden. Hochrisikopatienten antikoaguliert man therapeutisch über drei Monate, Krebskranke evtl. darüber hinaus.

Kongressbericht: 127. Kongress der Deutschen ­Gesellschaft für Innere Medizin (Online-Veranstaltung)