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Bei Anorexie im Jugendalter die Familie in die Therapie einbeziehen

Autor: Friederike Klein

Etwa 3–5 % der Menschen, vor allem Mädchen und Frauen, leiden an einer Essstörung. Die familienbasierte Therapie wird dabei zu stiefkindlich behandelt. (Agenturfoto) Etwa 3–5 % der Menschen, vor allem Mädchen und Frauen, leiden an einer Essstörung. Die familienbasierte Therapie wird dabei zu stiefkindlich behandelt. (Agenturfoto) © Antonioguillem – stock.adobe.com
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Trotz überzeugender Evidenz bezieht hierzulande kaum jemand die Familie in die Behandlung der Anorexia nervosa ein. Dabei spielen die Eltern oft eine große Rolle in der Entstehung von Essstörungen.

Jede Diät im Jugendalter ist ein Risikofaktor für den Beginn einer Essstörung, urteilte Dr. Dagmar­ Pauli­ von der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich. In dieser Zeit entwickelt sich das Leiden meist sprunghaft, bis täglich nur noch 300 kcal oder weniger gegessen werden, oft über Monate.

Bei Anorexie und Bulimie lassen sich häufig typische Probleme in der Familie finden, sagte die Kollegin. So kann man z.B. eine starke Konfliktvermeidung, konflikthafte Beziehungen, instabile Beziehungsmuster bzw. eine enge Bindung an ein Elternteil nachweisen. Dr. Pauli warnte jedoch vor schnellen Schuldzuweisungen. Denn Auffälligkeiten in der Familie seien nicht immer Ursache, sondern oft Folge der Essstörung.

Entsprechend wichtig kann es sein, die Angehörigen in die Therapie einzubeziehen. Deren Hauptziele sind:

  • Motivationsbehandlung
  • (regelmäßiges) Essverhalten normalisieren mithilfe der Familie oder auf Station (drei Haupt- und zwei bis drei Zwischenmahlzeiten)
  • Gewicht normalisieren (bei Kindern/Jugendlichen über 25. Perzentil des BMI)
  • somatische und psychiatrische Komorbiditäten behandeln
  • Hintergründe der Essstörung angehen

Die Evidenz spricht klar für eine familienbasierte Therapie, die ursprünglich aus Großbritannien stammt und mittlerweile auch in Skandinavien verbreitet eingesetzt wird. In Deutschland bietet sie kaum jemand an – trotz hoher Effektstärken in randomisiert kontrollierten Studien, bedauerte die Kollegin.

In Einzelsitzungen an der Motivation arbeiten

„Eigentlich macht man etwas falsch, wenn man das Konzept in der ersten Krankheitsphase bei Jugendlichen nicht einsetzt“, sagte Dr. Pauli. Es gehe nicht um Therapiegespräche gemeinsam mit den Eltern. Diese werden als Ressource einbezogen und übernehmen konkret die Verantwortung für die Mahlzeiten, während parallel in Einzelsitzungen an der Motivation der Patienten gearbeitet wird.

In dieser ersten Phase der Behandlung (ca. drei Monate) ist das oberste Ziel die Normalisierung des Körpergewichts. In einem zweiten etwa dreimonatigen Abschnitt sollen die Jugendlichen schrittweise selbst Verantwortung übernehmen. Erst dann werden Probleme der Adoleszenz und Familienthemen behandelt. „Es wird praktisch eine vorübergehende Regression erlaubt, die langsam in die Ablösung übergeht.“

Natürlich muss man die Eltern genau anleiten, etwa durch bildgestützte Edukation. Wie sieht eine normale Mahlzeit aus? Wie sollte mit schwierigen Esssituationen umgegangen werden? Nach Erfahrung von Dr. Pauli funktioniert das meistens sehr gut, wenn es gelingt, mit mindestens einem Elternteil entsprechend zusammenzuarbeiten.

Kongressbericht: 20. Inter­disziplinärer Kongress für Suchtmedizin