Anzeige

Malignomverdacht Bei komplexen Bewegungsstörungen an einen Tumor denken

Autor: Manuela Arand

Paraneoplastische Bewegungsstörungen resultieren meist aus Autoimmunphänomenen. Paraneoplastische Bewegungsstörungen resultieren meist aus Autoimmunphänomenen. © Alessandro Grandini – stock.adobe.com
Anzeige

Krebsleiden können von Bewegungsstörungen begleitet sein, und nicht nur dann, wenn der Tumor ins Gehirn gestreut hat. Als Auslöser der hyper- und hypokinetischen Syndrome wird die Behandlung mit Immuncheckpoint-Inhibitoren zunehmend relevant.

Für eine Bewegungsstörung (Movement Disorder, MD) im Rahmen eines Krebsleidens kommen vor allem drei Ursachen in Betracht:

  • Metastasen im ZNS
  • paraneoplastische Syndrome
  • die Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren.

Bei den beiden Erstgenannten kann die MD erstes Zeichen eines bis dato noch nicht bekannten Tumors sein. Symptome, die plötzlich einsetzen, ein untypisches Muster bieten und sich rasch verschlechtern, nähren den Krebsverdacht. Primäre Hirntumoren kommen relativ selten vor und Bewegungsstörungen als fokale Manifestationen noch seltener, erklärte Professor Dr. Carlo Colosimo vom Universitätsklinikum Santa Maria in Terni, Italien.

Pyramidenbahndysfunktion kann die MD maskieren

Liegt der Tumor im Bereich der Basalganglien oder des Hirnstamms, können gemischte hyper-/hypokinetische Bilder resultieren. Insgesamt dominieren hyperkinetische Syndrome, ein parkinsonähnliches Bild findet sich nur in etwa 40 % der Fälle, sagte der Neurologe. Das könnte daran liegen, dass die Bewegungsstörung durch andere neurologische Defizite maskiert wird, etwa eine Pyramidenbahndysfunktion oder Ataxie. Eine andere Erklärung ist, dass die nigrostriatalen Fasern dünn sind und widerstandsfähiger gegenüber Druck als myelinisierte Nerven.

Auf der falschen Spur

Dass eine Bewegungsstörung mitunter Erstsymptom eines Tumors ist, verdeutlichte Prof. Colosimo am Beispiel eines 66-jährigen Patienten. Dieser hatte bereits fünf Monate unter vermeintlich klassischen Parkinsonsymptomen mit Ruhetremor, Bradykinesie und Gangunsicherheit gelitten, bevor eine Schädel-CT erfolgte. Sie zeigte ein riesiges bilaterales Gliom im Thalamusgebiet, das die Basalganglien komprimierte. Das Einzige, was die Ärzte vorher hätte stutzen lassen können, war der subakute Symptombeginn, der nicht zum Parkinson passt.

Paraneoplastische Bewegungsstörungen umfassen vor allem Opsoklonus-Myoklonus-Syndrome, zerebelläre Ataxie mit Tremor oder Chorea und sind in aller Regel durch Autoimmunphänomene vermittelt. Auch sie zeichnen sich durch akuten Beginn und rasche Progredienz aus. Die Autoantikörper können sich gegen intrazelluläre oder Oberflächenantigene im synaptischen Spalt richten und durch T-Zell-Aktivierung zum neuronalen Zelltod führen oder agonistische/antagonistische Effekte durch Interaktion mit Rezeptoren und Ionenkanälen auslösen. Aber Vorsicht: Nicht jeder gegen Nervenzellproteine gerichtete Antikörper spielt eine Rolle in der Pathogenese paraneoplastischer Bewegungsstörungen. Sogenannte onkoneuronale Antikörper sind lediglich Marker des paraneoplastischen Geschehens. Eine Immuntherapie mit Steroiden, intravenösen Immunglobulinen oder Plasmaaustausch bietet daher – anders als bei Autoimmunenzephalitiden – wenig Erfolgschancen, so Prof. Colosimo. Dass eine tumorassoziierte Autoimmunenzephalitis Bewegungsstörungen auslöst, kommt selten vor. Dennoch ist es – auch wegen der effektiven immuntherapeutischen Optionen – wichtig, im Hinterkopf zu haben, dass es diese Möglich­ keit gibt. Natürlich darf im Fall der Fälle die eigentliche onkologische Therapie nicht vernachlässigt werden, denn sie bessert im Erfolgsfall auch die Paraneoplasie. Je mehr Tumorentitäten mit Immuncheckpoint-Inhibitoren behandelt werden und je mehr sich Kombinationen dieser Medikamente durchsetzen, desto häufiger werden sich Neurologen mit MD als Komplikation beschäftigen müssen. Die Checkpoint-Blockade löst nicht nur die Bremse, die der Tumor dem Immunsystem angelegt hat, sondern kann im Nebeneffekt die Immuntoleranz gegen körpereigene Antigene durchbrechen, erläuterte der Kollege. Obwohl neurologische Nebenwirkungen nicht sehr häufig vorkommen, fallen sie zum Teil schwer aus. Sie können eine systemische Immunsuppression notwendig machen und die Fortsetzung der Immuntherapie limitieren, warnte Prof. Colosimo. Als zentralnervöse Komplikationen sind unter anderem limbische Enzephalitiden, Meningoenzephalitiden sowie das Kleinhirnsyndrom beschrieben. Eine stringente Therapie der Bewegungsstörungen und anderer ZNS-Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibition existiert bisher nicht. Die Entscheidung über das richtige Prozedere muss individuell und von Neurologen und Onkologen gemeinsam gefällt werden.

Kongressbericht: European Academy for Neurology EAN Congress 2021 – Virtual Meeting