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Bei Polyposis-Syndromen des Magen-Darm-Trakts Angehörige screenen

Autor: Dr. Andrea Wülker

Juveniles Polyposis-Syndrom. Juveniles Polyposis-Syndrom. © Science Photo Library/Gschmeissner, Steve
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Gastrointestinale Polyposis-Syndrome sind eine häufige Ursache für erbliche kolorektale und extraintestinale Karzinome. Oft erkranken die Betroffenen bereits in jungen Jahren. Bei verdächtiger Familienanamnese sollte daher eine Gendiagnostik erwogen werden.

Verantwortlich für erbliche Polyposis-Syndrome sind Keimbahnmutationen, also genetische Veränderungen, die meist von einem Elternteil vererbt wurden und sich in allen Körperzellen des Anlagenträgers finden. Die Mutationen können aber auch bei dem Betroffenen oder in einer Keimzelle eines Elternteils de novo auftreten – dann ist die Familienanamnese meist unauffällig, schreiben Dr. Isabel­ Spier vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn und Kollegen.

Polyposis-Syndrome gelten als Präkanzerosen

Es gibt eine ganze Reihe von gastrointestinalen Polyposis-Syndromen. Sie sind alle als Präkanzerosen einzustufen, die für etwa 1 % aller kolorektalen Karzinome verantwortlich zeichnen. Nach dem Lynch-Syndrom stellen sie die häufigste Ursache für Darmkrebs dar.

Für die Diagnose der Polyposis-Syndrome ist die histologische Untersuchung der entfernten Polypen essenziell, zusammen mit einer sorgfältigen Familienanamnese und der Suche nach Manifestationen außerhalb des Darms (s. Kasten). Die Autoren betonen, dass eine ausreichende Zahl an Polypen untersucht werden muss. Denn es können verschiedene Polypenarten gleichzeitig vorliegen und es ist wichtig, denjenigen Polypentyp zu identifizieren, der dominiert.

Veränderungen, die auf das Vorliegen einer gastrointestinalen Polyposis hinweisen

  • Osteome im Kieferbereich
  • Desmoide
  • periorale Pigmentierungen
  • multiple Epidermoidzysten
  • multiple (sub-)kutane Lipome
  • Café-au-lait-Flecken
  • Hepatoblastome
  • Medulloblastome
  • Morbus Osler
  • kongenitale Hypertrophie des retinalen Pigmentepithels (CHRPE)

Deuten klinisch-histologische Untersuchung und Familienanamnese auf ein Polyposis-Syndrom hin, kann bei dem betreffenden Patienten eine gezielte Mutationssuche eingeleitet werden. Dafür ist eine EDTA-Blutprobe und eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten nach dem Gendiagnostikgesetz notwendig. Der Nachweis einer Keimbahnmutation ermöglicht die prädiktive genetische Testung gesunder Angehöriger. Damit können die weiteren präventiven Maßnahmen auf die Familienmitglieder beschränkt werden, die das veränderte Gen aufweisen. Die Kollegen weisen darauf hin, dass Minderjährige erst in einem Alter getestet werden sollten, in dem sich zeitnah präventive Konsequenzen ergeben. Für Therapie­entscheidungen ist das molekulargenetische Ergebnis nur begrenzt relevant. Denn der Nachweis einer Keimbahnmutation ermöglicht meist keine Vorhersage des Krankheitsverlaufs. Welche Therapiemaßnahmen erforderlich sind, richtet sich nach dem klinischen Verlauf. Für die häufiger auftretenden Polyposis-Syndrome gibt es Früherkennungsprogramme, die von Betroffenen und Mutationsträgern wahrgenommen werden sollten. Denn es ist nachgewiesen, dass frühzeitige und engmaschige Koloskopien zur Prävention erblicher kolorektaler Karzinome beitragen können. Bei manchen Polyposis-Syndromen wird die erste Spiegelung schon im Alter von acht bis zehn Jahren empfohlen. In welchem Abstand die endoskopischen Untersuchungen wiederholt werden sollten, hängt u.a. von der Anzahl und von den histologischen Merkmalen der Polypen ab.

Gastrointestinale Polyposis-Syndrome (Auswahl)
Syndrom
Histologie Polypen
Polypenzahl
Lebenszeitrisiko kolorektales Karzinom
Häufigkeit
Weitere Symptome außerhalb des Kolons
Klassische familiäre adenomatöse Polyposis (FAP)
Adenome100 – >5000100 %1:10 000Duodenaladenome/-karzinome, Osteome, Desmoide, Epidermoidzysten, Fibrome, Schilddrüsenkarzinom, Hepato- und/oder Medulloblastom, Nebennierenadenome u.a.
Attenuierte familiäre adenomatöse Polyposis (AFAP)
Adenome10–10070 %< 1:10 000selten
MUTYH-Gen-assoziierte Polyposis (MAP)
Adenome, ggf. hyperplastische Polypenwenige bis Hunderte80%1:40 000Duodenaladenome/-karzinome, erhöhte Inzidenz extraintestinaler Malignome, Talgdrüsentumoren, Nebennierenadenome
Peutz-Jeghers-Syndrom
Peutz-Jeghers-Polypen, ggf. Adenome< 2040 %1:150 000Dünndarm-, Magen-, Mamma-, Pankreaskarzinome, Ovarial- oder Hodentumoren, mukokutane/periorale Hyperpigmentierung

Bei selteneren Syndromen individuell vorgehen

Bei der klassischen familiären adenomatösen Polyposis (FAP) ist eine rechtzeitige (möglichst kontinenz­erhaltende) Operation erforderlich, um die Entstehung eines kolorektalen Karzinoms zu verhindern. Es gibt zwei OP-Varianten: Die Kolektomie mit ileorektaler Anastomose (IRA) und die Proktokolektomie mit ileopouchanaler Anastomose (IPAA). Letztere kann Karzinome erfolgreicher verhindern. Bei den selteneren Polyposis-Syndromen müssen Therapieentscheidungen individuell, symptomorientiert und entsprechend aktueller onkologischer Standards getroffen werden. Betroffene Familien sollte man an Zentren mit entsprechender Expertise verweisen.

Quelle: Spier I et al. Internist 2021; 62: 133-144; DOI: 10.1007/s00108-020-00903-z

Polyposis coli im Sigma. Polyposis coli im Sigma. © Immanuel Albertinen Diakonie Hamburg/endoskopiebilder.de