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Demenz: In der Prävention alle zwölf Risikofaktoren berücksichtigen

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Die Demenz ist eine multifaktorielle Erkrankung, weshalb am besten mehrere Risikofaktoren gleichzeitig angegangen werden sollten. Die Demenz ist eine multifaktorielle Erkrankung, weshalb am besten mehrere Risikofaktoren gleichzeitig angegangen werden sollten. © iStock/Nerthuz
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Neuen Schätzungen zufolge lassen sich 40 % aller Fälle von Demenz durch insgesamt zwölf modifizierbare­ Risikofaktoren erklären. Geht man bei seinen Patienten zumindest einige davon an, kann man den kognitiven Abbau verlangsamen.

Vor etwa 30 Jahren galten nur hohes Lebensalter und genetische Disposition als Risikofaktoren für Demenz. Es gab keinerlei Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen. Inzwischen hat sich dies geändert. Geringes Bildungsniveau, Hypertonie und Adipositas im mittleren Lebensalter, Diabetes, Rauchen, exzessiver Alkoholgenuss, körperliche Inaktivität, Depression, soziale Isolation, Schwerhörigkeit, Hirntraumata und Luftverschmutzung wurden als modifizierbare Risikofaktoren identifiziert.

Viele dieser Risikofaktoren führen auch unabhängig von einer Demenz zu körperlichen Einschränkungen im Alter. Die Interaktionen zwischen dem physischen und dem kognitiven Abbau sind komplex und mögliche zugrunde liegende Mechanismen wie Entzündung, oxidativer Stress und vaskuläre Dysfunktion überlappen sich. Somit bestünde die Möglichkeit, durch Modifikation der Risikofaktoren sowohl den geistigen als auch den körperlichen Verfall im Alter aufzuhalten.

Bei niedrigem Bildungsgrad fallen Defizite früher auf

Longitudinale Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass körperlich aktive Menschen seltener eine degenerative und/oder vaskuläre Demenz entwickeln als inaktive. Sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining haben günstige Effekte auf die Kognition gezeigt. Aktivität hält auch das Fortschreiten körperlicher Einschränkungen auf. Eine Metaanalyse randomisierter Studien mit älteren Menschen ergab, dass sie zudem die Fähigkeit erhält, Alltagsaktivitäten durchzuführen.

Bei Menschen mit geringem Bildungsgrad scheinen klinische Symptome einer kognitiven Dysfunktion schon bei weniger vorangeschrittenen neuropathologischen Veränderungen im Gehirn aufzufallen als bei Menschen mit höherem Bildungsgrad. Dies erklärt man sich damit, dass Letztere größere kognitive Reserven zur Verfügung haben, mit denen sie den neuronalen Schaden länger abpuffern können. Auch eine fortgesetzte oder gesteigerte geistige Aktivität bremst kognitive Abbauprozesse.

Verschiedene kognitive Übungsformen haben sich in klinischen Studien kurz- und langfristig positiv auf die trainierten Funktionen und Alltagsaktivitäten ausgewirkt. Insgesamt ist die Evidenz für den Effekt eines kognitiven Trainings aber gering, sodass man nicht sagen kann, ob der kognitive Abbau damit wirklich abzubremsen ist. Dennoch spricht nichts dagegen, den Geist älterer Menschen mit solchen Übungen wachzuhalten.

Wenig Sozialkontakte und Einsamkeit sind klar assoziiert mit einem schnelleren kognitiven Abbau. Soziale Interaktionen und psychosoziale Interventionen haben auch in randomisierten Studien günstige Effekte auf die kognitive Funktion erzielt. Aus der vorhandenen Evidenz lässt sich aber nicht klar schließen, dass das Fortschreiten einer kognitiven Dysfunktion damit verzögert werden kann.

Anhaltender Stress, auch wenn er nur leicht oder mittelschwer ausgeprägt ist, hat sich in Beobachtungsstudien als starker Demenztreiber erwiesen. Ähnliches gilt für die Depression. Die Datenlage reicht aber nicht dazu aus, um Antidepressiva zu empfehlen mit der Indikation, die kognitive Funktion zu stabilisieren.

Vaskuläre Risikofaktoren, insbesondere eine Hypertonie, sind assoziiert mit Demenz und Behinderung im späteren Leben sowie mit strukturellen Hirnveränderungen. In Beobachtungsstudien und randomisierten Studien konnte ein Beheben dieser Risikofaktoren z.B. über eine Therapie mit Antihypertensiva und Statinen das Risiko für die Entwicklung einer Demenz senken.

Eine Adipositas erhöht das Risiko für eine spätere Demenz um mehr als 30 %. Es gibt aber kaum Evidenz dafür, dass Gewichtsreduktionsprogramme den Verlust an kognitiver Funktion bremsen können. Diabetiker haben ein um 60 % erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken. Auch hier gilt: Man weiß nicht, ob eine intensive Diabetestherapie auch positive Effekte auf die Kognition hat. Dass nicht-übertragbare Krankheiten und Multimorbidität im Alter einen ungünstigen Effekt auf die geistige und körperliche Fitness im Alter haben, steht allerdings außer Frage.

Rauchstopp hat unklaren Effekt auf die Kognition

Unbestritten ist auch die Rolle einer gesunden Ernährung. Rauchen und exzessiver Alkoholkonsum gelten dagegen als ungünstig. Ob aber explizit die Kognition davon profitiert, wenn man mit dem Rauchen aufhört, ließ sich nicht eindeutig belegen. Eher scheint dies der Fall zu sein, wenn es gelingt, den Alkoholkonsum auf ein gesünderes Maß zu verringern.

Aus vier prospektiven Studien geht hervor, dass Schwerhörige im Vergleich zu Menschen ohne Hörprobleme häufiger an Demenz erkranken. Unklar bleibt, ob das rechtzeitige Tragen eines Hörgeräts daran etwas ändern kann oder der Zusammenhang nur indirekt besteht.

Bremsen lässt sich der kognitive Abbau am besten, wenn man mehrere Risikofaktoren gleichzeitig angeht, da die Demenz eine multifaktorielle Erkrankung ist. Das hat die FINGER-Studie gezeigt. Ältere Menschen mit Demenzrisikofaktoren erhielten über zwei Jahre ein Programm mit Ernährungsberatung, körperlicher Aktivität, kognitivem Training, sozialem Programm und Management metabolischer und vaskulärer Risikofaktoren oder wurden nur allgemein beraten.

Nach Ende der Studie zeigte die Interventionsgruppe eine um 25 % stärkere Verbesserung in globalen kognitiven Funktionstests. Auf die exekutiven Funktionen und Verarbeitungsgeschwindigkeit wirkten sich die Maßnahmen noch deutlicher aus (85 % bzw. 150 % höher). Die positiven Ergebnisse der Studie führten zur Gründung des weltweiten FINGERS-Netzwerks. Mit dessen Hilfe lassen sich die Interventionen für eigene Präventionsprogramme auf regionale und individuelle Bedürfnisse anpassen und optimieren.

Quelle: Lisko I et al. J Intern Med 2021; DOI: 10.1111/joim.13227