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Cannabiskonsum       Ein bisschen Gras muss sein

Autor: Sabine Mattes

Der selektivere Anbau von Cannabis führt zu höheren THC-Konzentrationen in den Endprodukten. Der selektivere Anbau von Cannabis führt zu höheren THC-Konzentrationen in den Endprodukten. © iStock/Creative-Family
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Cannabis hält zunehmend Einzug in die heimische Hausapotheke. Wie sieht die Situation in Europa derzeit aus und welche Konsequenzen könnte der Konsum langfristig haben?

Etwa jeder sechste EU-Bürger zwischen 15 und 35 Jahren hat in den vergangenen zwölf Monaten Cannabis konsumiert – Tendenz steigend. In 23 europäischen Ländern ist die Pflanze mittlerweile für die therapeutische Anwendung zugelassen und auch im privaten Bereich findet sie starken Zuspruch. Doch insbesondere bei exzessivem Gebrauch bzw. Missbrauch erhöht sich z.B. das Risiko für psychotische Störungen, kognitive Beeinträchtigungen und Atemwegsprobleme, warnen Dr. Jakob­ Manthey vom Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg und Kollegen.

Seit 2010 stieg der Cannabiskonsum in fast allen europäischen Ländern stetig, schreiben die Wissenschaftler. Die 30-Tages-Prävalenz für den Konsum lag im Jahr 2019 um fast 30 % höher als 2010 und stieg damit auf knapp 4 %. Spitzenreiter waren Spanien und Frankreich. Hier hatten 9 bzw. 6 % der Bevölkerung im Vormonat Cannabisprodukte zu sich genommen (therapeutische plus private Nutzung). Generell scheint die Substanz im Westen Europas populärer zu sein als im östlichen Teil: In Italien und den Niederlanden lag der Wert beispielsweise zwischen 5 % und 6 %, in Ungarn und Malta unter 1 %.

In der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nahm seit 2010 vor allem die absolute Zahl der Nutzer zu. Dagegen steigerten die 35- bis 64-jährigen Konsumenten hauptsächlich relativ gesehen ihren Cannabisverbrauch deutlich (+50 %). Begründen ließe sich dies aus Sicht der Autoren zum einen in der verstärkten medizinischen Anwendung, zum anderen im fortschreitenden Alter der ehemals „jungen“ Kiffer, die ihre Gewohnheiten nicht aufgegeben haben.

Auch die Anwendungshäufigkeit bot Grund zur Sorge: In der Hälfte der untersuchten Länder war der (fast) tägliche Griff zur Droge für mindestens jeden fünften Nutzer selbstverständlich, in Deutschland etwa für 25–30 %, in Portugal sogar für knapp 70 %. Dieser Trend könne sich unter anderem in einer wachsenden Zahl an Verkehrsunfällen unter Cannabis-Einfluss niederschlagen, befürchten die Autoren.

Insgesamt erfüllt etwa einer von sieben Konsumenten die Kriterien für einen Drogenmissbrauch. Die Menge an verzeichneten Therapien der „cannabis use disorder“ nahm in den vergangenen Jahren zu, aber blieb seit 2014 weitestgehend stabil. Die Prävalenz der Erkrankung stieg in den Erhebungen dagegen nicht, was aber an der Schätzmethode liegen könnte, so die Experten.

Kritisch verfolgt werden müsse außerdem der steigende Wirkstoffgehalt von Marihuana- und insbesondere Haschischprodukten. Aktuelle Studien zeigen, dass die Konzentration an THC (Tetrahydrocannabinol) in den vergangenen zehn Jahren wohl stetig zugenommen hat, im Harz teilweise um mehr als zwei Prozent pro Jahr. Dies ist eine Folge des selektiveren Anbaus in Marokko, wo das meiste europäische Cannabis herkommt, so die Autoren. Damit könnten allerdings auch die negativen Auswirkungen des Rauschmittels verstärkt zum Tragen kommen, warnen sie. THC stehe beispielsweise in Verbindung mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Psychosen. Weitere Studien müssen folgen, um die notwendigen Implikationen für das Gesundheitswesen vollständig verstehen zu können.

Quelle: Manthey J et al. The Lancet Regional Health – Europe 2021; DOI: 10.1016/j.lanepe.2021.100227