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Ernährung und Immunsystem Immunologische Fettnäpfchen

Autor: Dr. Elke Ruchalla/Dr. Susanne Gallus

Wer auf eine ausgewogene Ernährung achtet, fördert nicht nur seine Herz-Kreislauf-Gesundheit, sondern auch sein Immunsystem. Wer auf eine ausgewogene Ernährung achtet, fördert nicht nur seine Herz-Kreislauf-Gesundheit, sondern auch sein Immunsystem. © iStock/bit245
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Fettgewebe dient nur noch selten als Energiespeicher für schlechte Zeiten. Stattdessen tragen vor allem die viszeralen Ablagerungen zu vielen Zivilisationskrankheiten bei. Mit im Spiel ist das Immunsystem.

Das Immunsystem wird durch die Ernährung und den Ernährungszustand wesentlich beeinflusst. Untergewichtige (BMI < 18,5 kg/m²) leiden im Regelfall an einer Immundefizienz, insbesondere durch die reduzierte Zahl an T-Zellen. Bei Übergewichtigen oder Adipösen (BMI > 25 kg/m² bzw. > 30 kg/m²) denkt man zwar zunächst nicht an eine Unterversorgung, dennoch können Mikronährstoffe fehlen. 

Fleischkonsum hat auch seine Vorteile

Oft wird zu wenig auf eine ausgewogene Ernährung z.B. mit ausreichend Obst und Gemüse geachtet und es werden zu viele stark verarbeitete Lebensmittel gegessen. Es lohnt sich daher, auch in dieser Patientengruppe Elektrolyte, Vitamine und Spurenelemente zu checken, schreiben Agrarwissenschaftlerin Sabrina Bilotta­ vom Institut für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim in Stuttgart und Kollegen. 

Insbesondere das viszerale Fett spielt immunologisch eine Rolle. Ein Zuviel führt mit der Zeit zu einer chronischen, subklinischen Entzündung („low-grade inflammation“). Dazu kommt, dass sich bei Übergewichtigen oftmals die Mikrobiota im Darm so verändert haben, dass die Darmwand noch stärker durchlässig wird. Das gilt auch für Bestandteile von Bakterien, sodass sich die bislang geringgradige „sterile“ Entzündung in Richtung chronisch-bakteriell entwickelt. 

Im Fett herrscht reges Leben

Das viszerale Fett enthält Immunzellen wie antientzündliche Makrophagen, Eosinophile und T-Zellen. Durch das Zusammenwirken der Zellen können Energiereserven gezielt freigesetzt oder gespeichert werden. Die Zusammensetzung des Fettgewebes verändert sich bei Übergewicht in Richtung „pro-entzündlich“, da bestimmte Substanzen (Cholesterin, Palmitate) das Immunsystem aktivieren. Es kommt zu einem Anstieg von TNF-α, IL-1β, IL-6 und reaktiver Sauerstoffspezies, die ihrerseits weitere Immunzellen anlocken. Und als sei das noch nicht genug, produzieren auch die Adipozyten selbst die proinflammatorischen Interleukine 6 und 8 sowie eine Reihe von endokrinen Substanzen wie Leptin. Bei Normalgewichtigen regelt Leptin den Appetit, verliert aber diese Funktion bei Übergewicht (chronische Freisetzung) und hat nur noch einen immunaktivierenden Effekt. Zusätzlichen homöostatischen Stress bewirkt eine Hyperplasie und -trophie der Fettzellen, was natürliche Killerzellen und M1-Makrophagen auf den Plan ruft.

Aber nicht nur die Kalorien­über- und -unterversorgung machen Probleme. Auch Ernährungsformen wie Vegetarismus und Veganismus bergen trotz ihrer positiven Effekte auf BMI, Blutdruck, Blutzucker und Entzündungsmarker potenzielle Risiken. Insgesamt nehmen Vegetarier/Veganer mehr Obst und Gemüse sowie hochwertige, ballaststoffhaltige Kohlenhydratverbindungen, Nüsse und Hülsenfrüchte zu sich als „Mischköstler“. Fleisch gehört generell nicht auf den Tisch.  Vor allem rotes Fleisch wird zwar mit karzinogenen Effekten assoziiert, es enthält aber große Mengen an hochwertigem Protein, auf die das Immunsystem für eine optimale Funktion angewiesen ist. Taurin, Carnosin und Anserin sowie Kreatin wirken antientzündlich und „entstressen“, indem sie freie Sauerstoffradikale abfangen. Fleischkonsum wirkt außerdem einem Eisenmangel entgegen, der wiederum Infektionen begünstigt.  Obwohl sich Vegetarier eigentlich gesund ernähren, können also je nach Art der fleischfreien Ernährung Mangelzustände auftreten. Fisch­esser (Pescetarier) ausgenommen, fehlen ihnen fast immer Omega-3-Fettsäuren, Eisen, Kalzium, Jod, Vitamin B2 und B12, und v.a. im Winter Vit­amin D, warnen die Autoren. Und das hat aus den folgenden Gründen Konsequenzen
  • Durch Kalzium vermittelte Signale spielen auch im Immunsys­tem eine Rolle.
  • Vitamin D fördert die Kalziumaufnahme in den Knochen, beeinflusst über den Vitamin-D-Rezeptor die Immunzellen und scheint bei Autoimmunprozessen und Infektionen von Bedeutung zu sein. 
  • Cobalamin beeinflusst Zellfunktion und DNA-Synthese. Ein Mangel an Vitamin B12 fördert kardiovaskuläre Erkrankungen sowie die Entwicklung einer megaloblastären Anämie. Außerdem reduziert sich die Zahl zytotoxischer T-Zellen und die Funktion natürlicher Kil­lerzellen wird unter­drückt. Insbesondere bei Veganern sollte man daher den Vitalstoff supplementieren und die Werte regel­mäßig überwachen. 
  • Eisen ist beteiligt an Elektronentransferreaktionen und Sauerstofftransport. Eine Hypothese ist, dass es auch von Immunzellen als Kofaktor in der Enzymproduktion benötigt wird. Ein Mangel zeigt sich u.a. in der reduzierten Anzahl und Funktion von T-Zellen.
  • Jod wird u.a. von neutrophilen Granulozyten benötigt, damit sie mit pathogenen Erregern fertig werden.
Die Versorgung mit sekundären Pflanzenstoffen, unter anderem Flavonoiden, Polyphenolen und Karotinoiden, ist bei Veganern und Vegetariern dagegen meist gesichert. Viele der Substanzen wirken antiinflammatorisch, antioxidativ und immunmodulatorisch. Den Menschen, bei denen Obst und Gemüse nur selten auf dem Speiseplan stehen, entgehen diese positiven Effekte dagegen.

Quelle: Bilotta S et al. Ernährungs Umschau 2021; 68: M278-M286; DOI: 10.4455/eu.2021.020