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Aktivität und Gesundheit In der Forschung muss sich etwas bewegen

Autor: Kathrin Strobel/Dr. Andrea Wülker

Insbesondere Maßnahmen zur Bewegungsförderung bei Adoleszenten und Menschen mit Behinderungen müssen weiter erforscht werden – und zwar weltweit. Insbesondere Maßnahmen zur Bewegungsförderung bei Adoleszenten und Menschen mit Behinderungen müssen weiter erforscht werden – und zwar weltweit. © iStock/kentoh
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Große Sportevents ziehen weltweit Millionen von Menschen in ihren Bann. Ob sie die Zuschauer auch dazu motivieren, selbst aktiver zu werden, ist aber fraglich. Experten fordern deshalb Studien zu der Frage, welche Maßnahmen zur Bewegungsförderung funktionieren – insbesondere bei Gruppen, die dabei bislang wenig beachtet wurden.

Vonseiten der WHO gibt es Empfehlungen, wie viel körperliche Aktivität pro Tag bzw. Woche angestrebt werden sollte. Doch was als gesund angesehen wird, kann sich sowohl auf individueller als auch auf Populationsebene stark unterscheiden, schreiben Dorothea­ Dumuid­ von der University of South ­Australia und Kollegen in einem Kommentar. Dazu kommt: Die meisten Studien zum Thema Bewegung und Gesundheit basieren auf Daten von Schulkindern oder Erwachsenen ohne Behinderung aus Ländern mit hohem Einkommen. Das muss sich ändern, fordern sie. Aus ihrer Sicht sollte der Fokus verstärkt auf Gruppen gerichtet werden, die in bisherigen Erhebungen unterrepräsentiert waren.

Dieser Meinung sind auch Dr. Esther­ van ­Sluijs vom Centre for Diet and Activity Research an der University of Cambridge und Kollegen. Sie bemängeln, dass Jugendliche über 14 Jahren und junge Erwachsene in der Forschung zu körperlicher Aktivität bislang zu wenig Aufmerksamkeit bekommen haben. Zudem habe der Fokus der Untersuchungen meist fast ausschließlich auf dem schulischen Setting gelegen. 

Dabei wären Studien gerade bei dieser Altersgruppe besonders wichtig, schreiben die Experten. Denn weltweit bewegen sich etwa 80 % der Adoleszenten zwischen 10 und 24 Jahren nicht ausreichend. Durch gezielte Interventionen ließe sich das Risiko für spätere gesundheitliche Probleme (z.B. Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie psychische Beschwerden) vermutlich wirksam reduzieren. Doch wo ansetzen? Schulen scheinen zwar prinzipiell gut geeignet, um die körperliche Aktivität von Jugendlichen zu fördern. Allerdings zeigen schulbasierte Initiativen in Studien häufig keinen großen Erfolg, so die Kollegen. Dazu kommt, dass viele junge Menschen weltweit keinen Zugang zu Bildungsstätten haben – für sie wären daher sowieso andere Maßnahmen notwendig.

E-Health-Angebote als vielversprechender Ansatz

Eine Möglichkeit wäre, die Heranwachsenden über digitale Angebote zu einem aktiveren Lebensstil zu bewegen. Immerhin hatten im Jahr 2015 bereits 95 % der 15-Jährigen weltweit Zugang zum Internet. Im Jahr 2017 besaßen 63 % der 18- bis 29-Jährigen in Subsahara-Afrika ein Smartphone. E-Health-Angebote sind deshalb ein vielversprechender Ansatz, den es weiter zu untersuchen gilt, meinen Dr. van Sluijs und ihre Kollegen.

Auch wie das Umfeld angelegt ist, hat einen Einfluss darauf, wie viel sich Jugendliche bewegen. In mehreren Studien wurde gezeigt, dass sich durch stadtplanerische Maßnahmen (Spielplätze, Outdoor­fitnessparks etc.) die körperliche Aktivität von Jugendlichen steigern lässt.

Einer weiteren bislang unter­repräsentierten Gruppe haben sich Kathleen­ ­Martin ­Ginis von der University of British Columbia im kanadischen Kelowna und Kollegen gewidmet. Sie haben beleuchtet, wie es um die Forschung zur körperlichen Aktivität von Menschen mit Behinderungen steht. Weltweit leben etwa 1,5 Milliarden Menschen mit einer körperlichen, seelischen, sensorischen oder intellektuellen Behinderung – etwa 80 % von ihnen in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, schreiben sie. 

Besonders wenig aktiv sind Menschen mit Behinderung

Es gibt kaum Studien zu körperlicher Aktivität bei Menschen mit Behinderungen. Klar ist jedoch: Behinderte erreichen im Vergleich zu Nichtbehinderten deutlich seltener das in den Leitlinien empfohlene Maß an körperlicher Aktivität. Gleichzeitig ist ihr Risiko, aufgrund von Inaktivität ernst zu nehmende Gesundheitsstörungen zu entwickeln, erhöht. In der kürzlich von der WHO veröffentlichten Leitlinie zu körperlicher Aktivität bei Behinderung heißt es, dass körperliche Aktivität zu bedeutsamen gesundheitlichen Vorteilen führen kann, auch wenn die empfohlenen 150 Minuten pro Woche nicht erreicht werden. Sprich: Etwas Bewegung ist besser als gar keine.

Auch die UN-Behindertenrechtskonvention erkennt ausdrücklich die Bedeutung von körperlicher Aktivität an. Laut ihr ist es ein grundlegendes Menschenrecht, gleichberechtigt mit anderen an sportlichen Aktivitäten teilzunehmen. 

Der WHO-Aktionsplan für mehr Bewegung (Global Action Plan on Physical Activity 2018–2030) hat es sich unter anderem zum Ziel gesetzt, Ungleichheiten bei der Teilnahme an Sport zu reduzieren und die soziale, ökonomische und politische Inklusion aller Menschen zu stärken. Internationale Parasportveranstaltungen wie die Paralympics, Deaflympics und Special Olympics sollen zu Inklusion, Empowerment und sozialer Teilhabe von Menschen mit Behinderungen beitragen. Ob sie diese Ziele in der aktuellen Form wirklich erreichen, bleibt nach Ansicht der Autoren kritisch zu hinterfragen.

Quellen:
1. Dumuid D et al. Lancet 2021; DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01600-7
2. van Sluijs EMF et al. Lancet 2021; DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01259-9
3. Martin Ginis KA et al. Lancet 2021; DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01164-8