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Kinder: Satt oder verhaltensauffällig?

Autor: Dr. Barbara Kreutzkamp

Neben wählerischem Verhalten sind Abwehrreaktionen mögliche Symptome der Fütterungsstörung. Neben wählerischem Verhalten sind Abwehrreaktionen mögliche Symptome der Fütterungsstörung. © iStock.com/Juanmonino
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Viele Säuglinge und Kleinkinder leiden unter Fütter-, Ess- und Schluckstörungen. Die Auslöser reichen von psychosozialen Problemen bis zu Fehlbildungen. Im Alltag können bereits simple Essrituale weiterhelfen.

Bis zu einem Viertel aller Säuglinge und Kleinkinder haben Probleme beim Stillen oder Füttern, schreiben Dr. Cornelia Schwemmle und Professor Dr. Christoph Arens von der Universitätsklinik Magdeburg. Die Ursachen sind vielfältig. Entwicklungsstörungen zählen ebenso dazu wie neurologische und Atemwegserkrankungen. Auch Ösophagitiden können Auslöser für Fütter-, Ess- und Schluckstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern sein.

Ebenso vielfältig wie die Ursachen sind die Symptome. Die Kinder verweigern die Nahrungsaufnahme oder reduzieren sie durch Abwehrreaktionen. Dazu kommen wählerisches Essverhalten oder auch die verzögerte Entwicklung selbstständigen Essens, erläutern die HNO-Kollegen.

Relativ einfach zuzuordnen sind Fütter- und Essstörungen aufgrund von anatomischen Besonderheiten. Auch Geburtskomplikationen, eine als schwierig empfundene Geburt sowie infantile Zerebralparesen oder Hirnschäden können in Störungen der Nahrungsaufnahme münden. Frühgeborene zeigen überdurchschnittlich häufig Fütterungs- und Essstörungen.

Nicht vergessen werden dürfen medikamenteninduzierte Schluckstörungen. Gefährdet sind beispielsweise Kinder mit juveniler rheumatoider Arthritis, Chemotherapien oder Epilepsien. Zusätzlich kommen traumatische Erfahrungen des Kindes durch Intubation, Sondenernährung oder intensivmedizinische Maßnahmen als Auslöser infrage. Last but not least können Verhaltensprobleme aufgrund des kindlichen Temperaments wie Eigensinn, leichter Irritierbarkeit oder übermäßigen Trotzreaktionen die Nahrungsaufnahme zur Qual werden lassen.

Nach der Konsistenz des Essens fragen

An erster Stelle in der Diagnostik steht die Anamnese. Erfasst werden das soziale Umfeld, medizinische Besonderheiten und Angaben zu Ess- und Ernährungsgewohnheiten. Zusätzlich sollte der körperliche Status mit Angaben zu Wachstum und Gewicht sowie psychomotorischen und kognitiven Fertigkeiten des Kindes erhoben werden. Wichtig sind Informationen zu Nahrungsmitteln und Nahrungsmittelkonsistenzen, die das Kind nicht verträgt. Außerdem sollte man nach respiratorischen Dysfunktionen während der Nahrungsaufnahme, z.B. Tachypnoe oder temporäre Behinderung der Nasenatmung, fragen. Sie geben Hinweise auf organische Ursachen.

Zur weiteren Abklärung stehen HNO-ärztliche Untersuchungen wie die Videofluoroskopie und die fiberoptische Schluckdiagnostik zur Verfügung. Zur Beurteilung der anatomischen Verhältnisse und der Mukosabeschaffenheit in der oberen Schluckstraße leistet die videogestützte Ösophagoduodenogastroskopie gute Dienste. Sie wird allerdings meist in Narkose durchgeführt und bedeutet dementsprechend eine hohe Belastung für alle Beteiligten.

Mit vertrauten Gesichtern und gleicher Sitzordnung speisen

Die Therapie erfordert oft ein interdisziplinäres Vorgehen unter Einbeziehung von Pädiatern, Kinderpsychiatern, Logopäden und Ernährungsberatern, so die Erfahrung der HNO-Ärzte. Doch bevor es soweit kommt, können auch neue Regeln für den Alltag weiterhelfen.

Das beginnt mit der Schaffung von Essensritualen, bei denen vertraute Personen an möglichst immer der gleichen Tischposition anwesend sind. Die Nahrung darf natürlich mit den Fingern angefasst werden, anatomisch geformte Löffel helfen zusätzlich. Außerdem sollte genügend Zeit für das Füttern eingeplant werden. Auch wenn es im hektischen Alltag schwerfällt: Regelmäßige Fütterungszeiten von mehr als 30 Minuten bauen Stress auf allen Seiten ab und entproblematisieren häufig schon die Situation.

Zusätzlich sollte auf eine reizarme Umgebung, kleine Portionen und positive Verstärkung erwünschter Verhaltensweisen geachtet werden. Ein genauer Ernährungsplan schafft zusätzlich Sicherheit. Als weiterführende Maßnahmen stehen spezifische Interventionen bis hin zur Sondenernährung zur Verfügung. 

Quelle: Schwemmle C, Arens C. HNO 2018; 66: 515-526