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Kopfläuse: Sachlicher Umgang statt Hysterie

Autor: Dr. Judith Lorenz

Abseits des Kopfes wird der Entwicklungszyklus unterbrochen und die Kopfläuse sterben binnen Stunden. Abseits des Kopfes wird der Entwicklungszyklus unterbrochen und die Kopfläuse sterben binnen Stunden. © Science Photo Library/Gschmeissner, Steve
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„Läusealarm“ und blinder Aktionismus – viele reagieren sehr emotional auf eine Besiedelung mit Kopfläusen. Dabei ist die Parasitose harmlos und verläuft entgegen der gängigen Auffassung meist symptomfrei.

Kopfläuse verursachen weder spezifische Krankheiten noch übertragen sie in unseren Breiten pathogene Erreger. Die klinische Relevanz der Pedikulose ergibt sich folglich aus der gesellschaftlichen Einstellung, erläutert Professor Dr. Hans-Iko Huppertz stellvertretend für die Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin in Berlin in einer Stellungnahme.

Luftdichtes Verpacken von Kleidern ist unnötig

Obwohl epidemische Verläufe in größeren Populationen wie Schulklassen kaum vorkommen, wird z.B. in Kindertagesstätten regelmäßig „Läusealarm“ ausgerufen – eine für den Experten kontraproduktive Reaktion, die zu aufwendigen, belastenden und unkoordinierten Maßnahmen bei den Betroffenen und in deren Umfeld führt. Hierzu gehören Putz- und Waschaktionen oder das luftdichte Verpacken und Einfrieren von Textilien und Spielzeug. Von solchen Behandlungen außerhalb des behaarten Kopfes rät die Kommission aktiv ab. Denn sie haben keinerlei nachweisbaren Effekt bei der Beendigung einer Pediculosis capitis.

Das liegt an der Biologie der Insekten. Als wirtsspezifischer Ektoparasit ist die Kopflaus in allen Stadien auf den behaarten Kopf angewiesen. Außerhalb dieses Mikroklimas wird ihr Entwicklungszyklus unterbrochen und adulte Tiere sterben ohne Blutmahlzeit innerhalb von Stunden ab. Da die Läuse weder springen noch fliegen können, erfordert die Übertragung einen intensiven Haar-zu-Haar-Kontakt (mindestens 30 Sekunden).

Kopfbedeckungen, Schwimmbadwasser, Bettwäsche und Haarbürs­ten spielen dagegen praktisch keine Rolle. Gleiches gilt für eher flüchtige Haar-zu-Haar-Kontakte, wie sie in Gemeinschaftseinrichtungen typisch­ sind.

Ein weiteres Problem irrationaler und polypragmatischer Reaktionen: Betroffenen werden mitunter stigmatisiert, was Sozialisierung und Bildungserfolg von Kindern gefährden kann. Zudem zeigen sich die Experten besorgt über familiäre Belastungen und teils erhebliche Folgekosten, die durch ungezielten Therapeutikaeinsatz und Schul- bzw. Arbeitsplatzfehlzeiten entstehen­.

Sensible Eier

Eine weibliche Kopflaus legt während ihres dreiwöchigen Lebens bis zu 200 Eier. Bei dieser Zahl liegt eine hohe Parasitendichte und eine schnelle Übertragung von Mensch zu Mensch zwar nahe, Prävalenzuntersuchungen haben jedoch gezeigt, dass ein besiedelter Kopf meist weniger als 20 Läuse beherbergt. Der Vermehrungszyklus scheint also sehr empfindlich und irritierbar zu sein. Ein spontanes Sistieren ist damit nicht ausgeschlossen.

Sogar Teile aktueller Handlungsempfehlungen internationaler Fachgesellschaften und Behörden fußen nicht immer auf wissenschaftlicher Evidenz, kritisiert die Kommission. Das gilt auch für die im Infektionsschutzgesetz geregelten Besuchsverbote, die nicht wesentlich zur Kontrolle einer Pedikulose beitragen und somit überflüssig sind. Auf der Basis belastbarer Daten eignet sich folgendes Vorgehen:
  1. Nur der Nachweis wenigstens einer beweglichen Laus im Haar stellt eine definitive Therapieindikation dar. Man spricht von einer vitalen Infestation (Besiedelung) und nicht von einer Infektion. Alte, nicht mehr schlupffähige Nissen rechtfertigen keine Behandlung, sie können noch Monate nach dem ggf. spontanen Sistieren einer Besiedelung (s. Kasten) nachweisbar sein.
  2. Im Indexfall ist eine gezielte Diagnostik (systematisches Auskämmen des gesamten nassen Kopfhaares mit Spülung und einem Spezialkamm, von den Wurzeln bis zu den Spitzen) und ggf. die Therapie von Familienmitgliedern und engen Bezugspersonen wie Übernachtungsfreunden indiziert und ausreichend. Von anlassbezogenen Gruppenscreenings z.B. in Klassengemeinschaften hält die Kommission nichts.
  3. Bei ausreichender Adhärenz kann eine Pedikulose rein durch mechanische Maßnahmen beendet werden. Die Verminderung der auf dem Kopf befindlichen Läuse gelingt am besten, schnell und weitgehend schmerzfrei durch systematisches Auskämmen. Die in Deutschland eingesetzten Mittel scheinen einem nicht-medikamentösen Vorgehen nicht überlegen zu sein.

Entomophobie gibt es auch unter Ärzten

Grundsätzlich fordern die Experten einen sachlicheren Umgang mit der Pediculosis capitis. Offenbar gibt es auch Fachpersonen, die durch negative Empfindungen (Entomophobie) in Aktionismus verfallen. Ärzte, Apotheker und Personal von Gemeinschaftseinrichtungen müssen bei der Aufklärung an einem Strang ziehen und dem Kopflausbefall mit besonnenem (Nicht-)Handeln entgegentreten.

Quelle: Huppertz H et al. Monatsschrift Kinderheilkd 2021; 169: 159-166; DOI: 10.1007/s00112-020-00987-9