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Klimawandel Milliarden Menschen im Hitzestress

Autor: Dr. Sonja Kempinski

Durch klimawandelbedingten Hitzestress werden u. a. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenschäden weltweit häufiger auftreten. Durch klimawandelbedingten Hitzestress werden u. a. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenschäden weltweit häufiger auftreten. © Romolo Tavani – stock.adobe.com
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Die steigenden Temperaturen fordern schon jetzt viele Opfer und zukünftig werden die Zahlen stetig zunehmen. Betroffen sind vor allem Alte, chronisch Kranke und kleine Kinder, aber auch Millionen von Menschen, die unter freiem Himmel arbeiten müssen.

Hitzeextreme gehören zu den häufigsten Ursachen von wetterbedingten Todesfällen – zumindest in Ländern mit hohem Einkommen, denn für einkommensschwache Regionen gibt es dazu bislang kaum Daten. Darüber hinaus führt große Hitze zu Schwangerschaftskomplikationen, Exazerbation respiratorischer und kardio­vaskulärer Grunderkrankungen und psychischen Beeinträchtigungen, schreiben Professor Dr. Kristie­ Ebi, Center for Health and the Global Environment, University of Washington in Seattle und Kollegen.

Prinzipiell ist der menschliche Körper auf Temperaturschwankungen gut vorbereitet. Wird es zu warm, kann er seine Kerntemperatur auf zweierlei Arten regulieren: Vasodilatation und Schweißsekretion. Beide Mechanismen können allerdings zu Problemen führen, wenn sie überstrapaziert werden. Bei ausgeprägter Vasodilatation muss das Herz stärker pumpen – vor allem kardial Vorbelasteten drohen dadurch Isch­ämien, Infarkt und Kreislaufstillstand. Derartige kardiovaskuläre Ereignisse sind Metaanalysen zufolge die Haupttodesursache in Hitzeperioden. Geschätzte 500 Millionen Herzkranke weltweit sind davon bedroht, rechnen die Forscher vor.

Auch das vermehrte Schwitzen kann zum Problem werden. Denn ist die Flüssigkeitszufuhr unzureichend, drohen durch die Dehydratation kardiovaskuläre Schäden und akutes Nierenversagen. Eine andauernde Dehydratation begünstigt Nierenfibrosen und chronisches Nierenversagen – z.B. unter Landarbeitern in Indien und Mittelamerika eine große Gefahr. Erschwerend kommt dort hinzu, dass viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, was wiederum ein hohes Infektionsrisiko mit sich bringt.

Schlechtere Thermoregulation bei Älteren und Kleinkindern

Doch ist der Körper nicht unbegrenzt anpassungsfähig. Bei extremer Hitze besteht die Gefahr, dass die zentrale Thermoregulation komplett zusammenbricht und es zum Hitzschlag kommt – oft mit fatalen Folgen. Steigt die Körperkerntemperatur über 39 °C, kann es zu Ischämien, Zelltod, Gewebe- und Organschäden kommen. Besonders gefährdet sind dabei Gehirn, Herz, Niere, Leber und Lunge. Lungenödeme und akute respiratorische Insuffizienz sind nach Kreislaufversagen die zweithäufigste Ursache für erhöhte Mortalität und Morbidität in Hitzeperioden.

Verschiedene Faktoren tragen dazu bei, dass die Thermoregulation schneller versagt und die Sterblichkeit zunimmt. Ein Aspekt ist das Lebensalter. Menschen über 65 Jahre haben generell eine verminderte Schweißproduktion. Auch Neugeborene und Kleinkinder gelten als besonders gefährdet. Bei ihnen sind zum einen die Mechanismen der Thermoregulation noch nicht ausgereift. Zum anderen nehmen sie über ihre im Verhältnis zur Körpermasse  größere Hautoberfläche mehr Wärme auf als Erwachsene und überhitzen dadurch schneller. Vor diesem Hintergrund geben die Autoren warnend zu bedenken, dass immer wieder kleine Kinder sterben, weil sie kurz im überhitzten, verschlossenen Auto zurückgelassen wurden.

Inwieweit Medikamente bei heißem Wetter ein Gesundheitsrisiko darstellen, ist in Studien noch nicht ausreichend untersucht. Einige beeinträchtigen möglicherweise die zentrale Thermoregulation, andere haben Einfluss auf die periphere Vasodilatation und Schweißsekretion. In Verdacht stehen unter anderem Antidepressiva, Anticholinergika, Antihypertensiva, Antihistaminika sowie Antiepileptika, Spasmolytika, Muskelrelaxanzien und Opioide.

Alkohol hat zwar nicht direkt einen nachteiligen Einfluss auf Schwitzen und Vasodilatation, wirkt aber dehydrierend. Außerdem setzt der Konsum die mentale Reaktionsfähigkeit herab, was unter Umständen sinnvolle Verhaltensweisen wie etwa den Rückzug in schattige Bereiche unterbindet.

Gefährlich wird es auch für diejenigen, die bei hohen Temperaturen sportlich aktiv sein möchten. So ist im Sommer bei Outdoor-Sport wie Fußball oder ausgiebigem Joggen die Inzidenz lebensbedrohlicher Hitzschläge zehnmal höher als die von Herz-Kreislauf-Ereignissen. Dies gilt sowohl für Leistungssportler als auch für Freizeitathleten. Zwar trainieren letztere meist weniger intensiv. Durch falsche und unökonomische Technik produzieren sie aber oft überproportional viel Wärme.

Generell nimmt ab 29–30 °C Außentemperatur die körperliche Leistungsfähigkeit ab. Dann kommen vor allem nicht mehr ganz so junge Menschen bei Sportarten wie Marathon, Triathlon oder Rennradfahren in Bedrängnis. Schon heute gibt es in Australien Tage, an denen aufgrund der sommerlichen Hitze davor gewarnt wird, Sport zu treiben. Forscher rechnen damit, dass die Anzahl dieser Tage in den nächsten 50 Jahren auf das 8- bis 50-Fache steigen wird.

Die zunehmende Erwärmung trifft auch jene Milliarde Menschen hart, die weltweit unter sengender Sonne arbeiten müssen. Hohe Umgebungstemperaturen und die eigene Wärmeproduktion aufgrund von körperlicher Arbeit und Muskel­einsatz setzen ihnen ordentlich zu. Schon ab etwa 20 °C Außentemperatur beginnt die Produktivität von Arbeitern in Landwirtschaft und Baugewerbe zu sinken. Konsequent wäre es da, mehr Pausen einzulegen und die körperliche Anstrengung zu reduzieren. Das drückt aber auf die Produktivität. Allerdings wird es auch teuer, auf Pausen und Höchstleistungen zu verzichten: Arbeiten bei Hitze verursacht erwiesener­maßen mehr Arbeitsunfälle, da sie die kognitiven Funktionen beeinträchtigt und die motorische Geschicklichkeit vermindert. Insgesamt erhöhen Hitzewellen­ den Krankenstand.

Nicht zuletzt hat die Art und Weise, wie Menschen leben, einen beträchtlichen Einfluss auf die Erwärmung. Für 2030 rechnen Experten damit, dass 60 % der Weltbevölkerung in Städten wohnt, darunter in 43 Megastädten mit zehn und mehr Millionen Einwohnern. Städte sind generell wärmer als ländliche Bereiche. Das beruht u.a. auf ihrem hohen Energieverbrauch und dem Verkehrsaufkommen. Tagsüber produzierte Wärme wird durch die Bebauung gespeichert, sodass Städte nachts kaum abkühlen. Aufgrund der Wärmebelastung kommen immer mehr Klimaanlagen zum Einsatz, der Energieverbrauch steigt, die Aufheizung verstärkt sich.

Folgen des Klimawandels noch immer unterschätzt

Obwohl die Zukunftsaussich­ten nicht rosig sind, unterschätzen die meisten Prognosen noch immer die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit, so die Autoren. In die Erforschung und das Risikomanagement hitzebedingter Morbidität und Mortalität müsse deutlich mehr Geld gesteckt werden.

Quelle: Ebi KL et al. Lancet 2021; 398: 698-708; DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01208-3