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Umweltchemikalien beeinflussen Schilddrüsenhormonachse

Autor: Maria Weiß

Etwa 40 % der in Europa zugelassenen Pestizide beeinflussen bekanntermaßen die Schilddrüsenhormonachse. Etwa 40 % der in Europa zugelassenen Pestizide beeinflussen bekanntermaßen die Schilddrüsenhormonachse. © iStock/gubernat
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Wir atmen sie ein, wir schlucken sie oder schmieren sie auf die Haut: Tagtäglich haben wir Kontakt zu unzähligen Chemikalien. Viele dieser Substanzen beeinflussen die Schilddrüsenhormonachse – mit Folgen, die schwer zu überblicken sind.

Die traurige Realität: Von den 350 000 Chemikalien, die im Handel erhältlich sind, werden weltweit nur 40 reguliert. Das bedeutet keinesfalls, dass die übrigen Substanzen allesamt unbedenklich sind, stellte Professor Dr. Josef Köhrle vom Institut für Experimentelle Endokrinologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin klar.

Eher das Gegenteil ist der Fall, so der Referent: Etwa 40 % der in Europa zugelassenen Pestizide beeinflussen bekanntermaßen die Schilddrüsenhormonachse. Eine Untersuchung von 278 aktiven chemischen Substanzen durch die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA*) hat bei 113 der Stoffe einen disruptiven Effekt auf die Funktion der Schildrüsenhormone gezeigt. Einige seltene Krebsarten, vor allem bei Kindern, werden mit ihnen in Verbindung gebracht, aber gestörte Reproduktionsfähigkeit, Osteoporose und Hypertonie sowie Schilddrüsenerkrankungen, Adipositas und Diabetes.

Echte Kontrollgruppen lassen sich kaum bilden

Die endokrinen Disruptoren finden sich beileibe nicht nur in Pestiziden und Industrieabfällen. Auch mit Plastikverpackungen, Möbeln, Kleidung und Kinderspielzeug, mit Kosmetika, in Form von Lebensmittelfarben und in medizinischem Material gelangen sie in die Umwelt. Vielfältige Effekte auf die Schilddrüsenhormonachse sind inzwischen beschrieben, sowohl in Tierexperimenten als auch in Assoziationsstudien nach unfreiwilligem Kontakt oder mit exponierten Subgruppen. Echte Kontrollgruppen lassen sich aber kaum bilden, merkte der Endokrinologe an, da wir alle mehr oder weniger mit den Substanzen belastet sind.

Wohlbekannte Verdächtige

Zu den bekanntesten endokrinen Disruptoren gehören Bisphenol A, die Gruppe der Phthalate, Weichmacher und polychlorierte Biphenyle (PCB) sowie die Dioxine, die etwa bei Verbrennungsprozessen entstehen. Mit den Altlasten von Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) in der Umwelt, das früher großflächig als Insektizid verwendet wurde, dürften die Menschen trotz Verbots in vielen Ländern der Erde noch lange zu kämpfen haben, meinte Prof. Köhrle.

Jodmangel scheint die negativen Effekte der Chemikalien zu verstärken, ebenso wie Mischungen der verschiedenen Verbindungen. Als besonders gefährdet sieht Prof. Köhrle Schwangere sowie Kinder und Jugendliche an. Bei erhöhter Exposition in der Schwangerschaft kann die reduzierte Schilddrüsenhormonwirkung die Intelligenz der Kinder mindern – mit teilweise lebenslangen Folgen für die Betroffenen. Eine spezielle Kommission der Europäischen Union hat im vergangenen Jahr Strategien vorgestellt, um endokrine Disruptoren so weit wie möglich aus der Umwelt zu verbannen, berichtete der Experte. Zu den Vorschlägen gehört beispielsweise ein vollständiger Produktionsstopp hochproblematischer Substanzen. Keinesfalls aber dürfen Stoffe, die vom Markt genommen werden, einfach durch andere Chemikalien mit noch unklarer Wirkung auf Mensch und Umwelt ersetzt werden, stellte Prof. Köhrle klar. Für jeden Einzelnen gelte es zudem, die Menge an Plastikmüll drastisch zu reduzieren. 

* European Food Safety Authority

Quelle: 64. Deutscher Kongress für Endokrinologie (Online-Veranstaltung)