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Primäre ziliäre Dyskinesie Verdächtigen Signalen konsequent nachgehen

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Um die Diagnose PCD zu sichern, werden zilientragende Zellen wie diese aus der Nase mit mehreren Methoden untersucht. Um die Diagnose PCD zu sichern, werden zilientragende Zellen wie diese aus der Nase mit mehreren Methoden untersucht. © Science Photo Library /DENNIS KUNKEL MICROSCOPY
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Eine primäre Ziliendyskinesie macht sich zwar schon in den ersten Lebensmonaten bemerkbar, in den meisten Fällen wird die Diagnose aber sehr viel später oder aber gar nicht gestellt. Vier klinische Zeichen sollten den Verdacht wecken.

Unter den Begriff primäre ziliäre Dyskinesie (PCD) subsumiert man eine ganze Gruppe angeborener Erkrankungen. Allen gemeinsam ist eine Fehlfunktion der beweglichen Zilien. Dies führt u.a. dazu, dass in den oberen und unteren Atemwegen, Schleim und Pathogene nicht ausreichend abtransportiert werden können. Es kommt zu häufigen Infektionen, die mit der Zeit chronifizieren und vor allem in der Lunge zu bleibenden Schäden führen. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen liegt zusätzlich ein Situs inversus vor. Darüber hinaus ist eine verminderte Fertilität bzw. Infertilität typisch. Selten werden Hydrocephalus, Retinitis pigmentosa und angeborene Herzfehler beobachtet.

Drei Typen von Zilien

Nodale Zilien werden während der Embryonalentwicklung passager exprimiert und spielen u.a. bei der Lateralisierung der Organe eine Rolle. Primäre immotile Zilien findet man auf der Oberfläche der meisten Zellen. Während der embryonalen Entwicklung spielen sie wahrscheinlich bei der Differenzierung von Geweben eine wichtige Rolle. Sie dienen u.a. als Mechano- oder Chemosensor. Sind die primären Zilien defekt, resultieren verschiedene Krankheitsbilder (Ziliopathien). Motile Zilien (Kinozilien bzw. Flimmerhärchen)finden sich im menschlichen Organismus z.B. im Eileiter sowie im oberen und unteren Respirationstrakt. Dort sorgen sie für den Abtransport von Schleim und Partikeln.

Mehr als 50 Gene mit der PCD assoziiert

Man schätzt, dass eines von 22.000–40.000 Neugeborenen eine PCD aufweist, bei Kindern mit rezidivierenden Atemwegsinfekten könnte die Prävalenz sogar bei 5 % liegen, schreiben Dr. Katherine Dunsky von der Washington University School of Medicine in St. Louis und Kollegen. Bis heute wurden über 50 Gene mit der PCD assoziiert, bei den meisten Patienten lässt sich ein autosomal-rezessiver Erbgang nachweisen. Etwa 60 % der Neugeborenen mit PCD fallen durch respiratorischen Disstress auf, der eine Sauerstoffgabe oder sogar eine mechanische Beatmung notwendig machen kann. In der Bildgebung zeigen sich häufig  Atel­ektasen. In den ersten Lebensmonaten entwickelt sich bei den meisten PCD-Kindern ein chronischer Husten,  immer wieder kommt es zu teilweise schweren Atemwegsinfektionen einschließlich Otitis media. Aus der chronisch verstopften Nase entleert sich ständig wässriges Sekret, was nicht selten einer Allergie zugeschrieben wird. Nasenpolypen werden zumeist erst bei erwachsenen Patienten beobachtet, auch die chronische Rhinosinusitis ist eher im Erwachsenenalter typisch.     Dr. Dunsky und ihre Kollegen nennen vier klinische Kriterien, die  prädiktiv für das Vorliegen einer primären ziliären Dyskinesie sein sollen:  
  • respiratorischer Disstress bei reifen Neugeborenen 
  • Situs inversus bei Geburt 
  • täglicher produktiver Husten mit Beginn in den ersten sechs Lebensmonaten
  • nicht-saisonale Rhinitis mit Beginn in den ersten sechs Lebensmonaten
Bereits bei Vorliegen von zwei dieser vier Kriterien sollte bei dem Kind eine weitere Diagnostik erfolgen.  Dazu gehört die Messung der Konzentration von Stickstoffmonoxid in der Nase, das bei PCD-Patienten über fünf Jahren fast immer erniedrigt ist. Allerdings liefert dieser Befund nur einen weiteren Hinweis, dass eine PCD vorliegen könnte. Für jüngere Kinder existieren keine anerkannten Grenzwerte.  Die definitive Diagnose gelingt durch die Untersuchung von zilientragenden Zellen der Nasenschleimhaut, die per Bürstchen entnommen werden. Zur Analyse der Zilienfunktion führen viele Zentren die Hochfrequenzvideomikroskopie durch. Deren Ergebnis hängt allerdings stark von der Erfahrung des Untersuchers ab. Zudem fehlt die Standardisierung, was Probenverarbeitung und Interpretation der Ergebnisse angeht.   Um Defekte der Zilienstruktur aufzudecken gilt nach Aussage der Kollegen die Elektronenmikroskopie als historischer Standard. Sie erinnern aber daran, dass die ziliäre Ultrastruktur bei PCD-Patienten nicht immer gestört ist und vorhandene Defekte erworben sein können. Auch die Immunfluoreszenzmikroskopie zielt auf ziliäre Strukturdefekte.   Zunehmend an Bedeutung gewinnt die genetische Testung. Heute lassen sich bei mehr als 70 % aller Patienten pathogene Varianten in einem der bislang bekannten, mit PCD-assoziierten Genen nachweisen. Mit der Identifikation weiterer Gene steht zu erwarten, dass dieser Anteil weiter steigen wird. Da alle beschriebenen Tests Vor- und Nachteile und für sich genommen keine absolute Aussagekraft besitzen, kann die Dia­gnose einer primären ziliären Dyskinesie nur in Zusammenschau der verschiedenen Ergebnisse mit dem klinischen Bild gestellt werden, betonen Dr. Dunsky und ihre Kollegen.  Eine kausale Therapie für die PCD existiert nicht. Ähnlich wie bei der zystischen Fibrose spielen daher Inhalationstechniken und Physiotherapie eine große Rolle. Ziel ist, den Abtransport von Sekret zu erleichtern. Die bakterielle Last in der Lunge kann durch Antibiotika reduziert werden, insbesondere bei Exazerbationen. 

Unbedingt die Hörfähigkeit im Auge behalten

Die überwiegende Mehrzahl der Patienten wird im Verlauf und zum Teil mehrfach eine Myringotomie und/oder ein Paukenröhrchen benötigen. Im Hinblick auf die Sprachentwicklung ist es wichtig, die Hörfähigkeit im Auge zu behalten. Bei vielen Patienten werden weitere HNO-Operationen wie Aden­ektomien und nasale Polypektomien durchgeführt. Um die sinonasale Inflammation zu reduzieren sind topische Steroide indiziert.

Quelle: Dunsky K et al. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2021; DOI: 10.1001/jamaoto.2021.0934