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Vorhofflimmern: Frequenzkontrolle allein reicht nicht aus

Autor: Manuela Arand

Jede einzelne Komponente des primären Endpunkts trat unter Rhythmuskontrolle numerisch seltener auf. Jede einzelne Komponente des primären Endpunkts trat unter Rhythmuskontrolle numerisch seltener auf. © iStock/Ocskaymark
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Über viele Jahre hatte sich die kardiologische Community daran gewöhnt, beim Vorhofflimmern Frequenzkontrolle vor Rhythmuskontrolle zu stellen. Jetzt scheint sich das zu ändern.

Das Primat der Frequenzkon­trolle stützt sich vor allem auf die Ergebnisse der AFFIRM-Studie Anfang der 2000er-Jahre. Sie signalisierten, dass die Rhythmuskontrolle beim Vorhofflimmern (AF) keinen Überlebensvorteil bringt. Seither waren die primären Therapieziele, den Schlaganfall zu verhindern und dem Patienten Symptome zu ersparen.

Doch das frühe Vorhofflimmern ist kein harmloser Befund. Sogar bei optimalem Management sterben jedes Jahr etwa 5 % der betroffenen Patienten an kardiovaskulären Komplikationen. „Das Risiko für schwere kardiovaskuläre Komplikationen und Tod ist im ersten Jahr nach der AF-Diagnose am größten“, betonte Professor Dr. Paulus Kirchhof, Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf und Birmingham.

Eine antiarrhythmische Therapie könnte also den größten Nutzen bringen, wenn sie früh erfolgt. Zumal beim AF innerhalb weniger Wochen Schäden an den Vorhöfen entstehen, die sich durch eine zeitige Rhythmuskontrolle abwenden oder zumindest verringern ließen. Außerdem gibt es keine Hinweise dafür, dass eine antiarrhythmische Therapie oder Ablation Patienten mit kardiovaskulären Begleit­erkrankungen schadet.

Vor diesem Hintergrund haben Forscher in elf europäischen Ländern EAST-AFNET 4* gestartet. An dieser Studie nahmen 2789 Patienten teil, bei denen man im vorangegangenen Jahr die AF-Diagnose gestellt hatte. Sie waren entweder älter als 75 Jahre und hatten bereits eine TIA oder einen Schlaganfall erlitten oder sie wiesen mindestens zwei der folgenden Kriterien auf: älter als 65 Jahre, weiblich, Diabetes, Herz- oder Niereninsuffizienz, Hypertonie, schwere KHK, linksven­trikuläre Hypertrophie.

Schon Interimsanalyse zeigte Überlegenheit

Nach der Randomisierung erhielten die Patienten entweder eine frühe rhythmusstabilisierende oder aber die übliche Therapie nach Leitlinie.

Die Interventionen in EAST-AFNET 4

Frühe Rhythmuskontrolle Antikoagulation, Frequenzkontrolle plus Antiarrhythmika oder Katheterablation. Bei AF-Rezidiv Re-Ablation oder Modifikation der antiarrhythmischen Medikation. Übliche Therapie Antikoagulation, Frequenzkontrolle. Rhythmuskontrollierende Maßnahmen nur bei Patienten, die trotz optimaler Frequenztherapie Symptome aufweisen.

Nach einem und zwei Jahren erfolgten Kontrolluntersuchungen sowie bei Studienende nach median 5,1 Jahren. Zwar wurde die Studie bei der dritten Interimsanalyse beendet, weil sich die frühe Rhythmuskontrolle bereits überlegen zeigte. In die Analysen gingen jedoch weitere drei Jahre ein, in denen man die Patienten weiter beobachtete. Zwei primäre Endpunkte gab es, die am Ende von Jahr 2 ermittelt wurden: eine Kombination kardio­vaskulärer Komplikationen (Tod, Verschlechterung einer Herzinsuffizienz, akutes Koronarsyndrom) und die Zahl der Nächte pro Jahr, die der Patient im Krankenhaus verbringen musste. Der erste Endpunkt trat bei 249 Patienten mit Rhythmuskontrolle und 316 Patienten unter Standardtherapie ein (3,9 % versus 5 % pro Jahr). Das entspricht einer 21%igen Risiko­reduktion. Jede einzelne Komponente des primären Endpunkts trat unter Rhythmuskontrolle numerisch seltener auf, auch wenn es nicht immer zur statistischen Überlegenheit reichte. 19 Subgruppenanalysen zeigten keine Ausreißer, auch nicht bei asymptomatischen Patienten oder Patienten mit oder ohne Herzinsuffizienz. Beim zweiten Endpunkt gab es keinen Unterschied: Patienten in beiden Gruppen verbrachten im Schnitt fünf bis sechs Tage im Krankenhaus. Nach zwei Jahren befanden sich mehr als 80 % der Rhythmuskontrollgruppe im Sinusrhythmus, aber nur 60 % der Standardtherapiegruppe. In beiden Gruppen waren drei von vier Teilnehmern symptomfrei. Auch sonst gab es relativ wenig Unterschiede sowohl bezüglich Lebensqualität und Herzfunktion als auch hinsichtlich der Sicherheitsendpunkte, obwohl bei Patienten unter Rhythmuskon­trolle numerisch weniger Schlaganfälle (2,9 % versus 4,4 %) und Sterbefälle (9,9 % versus 11,8 %) registriert wurden. Erwartungsgemäß traten schwere unerwünschte Wirkungen der rhythmusstabilisierenden Therapie häufiger auf, die Rate blieb mit 4,9 % aber gering (1,4 % unter Standardtherapie). Diese Ergebnisse stellen die Praxis infrage, rhythmusnormalisierende Maßnahmen zurückzustellen, bis der Patient trotz frequenzstabilisierender Therapie symptomatisch wird. Für Prof. Kirchhof haben sie „das Potenzial, die klinische Praxis vollständig umzukrempeln, hin zu einer frühen Rhythmuskontrolle gleich nach der AF-Diagnose“.

Ergebnisse durch bessere Adhärenz verfälscht?

Für Professor Dr. Tatjana Potpara, Universität Belgrad, ist die Studie nicht uneingeschränkt auf alle AF-Patienten übertragbar. Sie wies darauf hin, dass die Patienten als Risikofaktoren vor allem Hypertonie und weibliches Geschlecht mitbrachten und in beiden Gruppen der Anteil adipöser oder übergewichtiger Teilnehmer mit 80 % sehr hoch war. Außerdem hatten nur wenige – bei frisch diagnostiziertem Vorhofflimmern möglicherweise nicht verwunderlich – Anzeichen einer relevanten strukturellen Herzschädigung. Ein Unterschied zwischen den Gruppen bestand darin, dass Patienten mit Rhythmuskontrolle zweimal pro Woche ein EKG ableiten und an den Behandler schicken sollten. Gleiches galt, wenn sie Symptome bekamen. Bei Bedarf konnte dann ein Arztbesuch extra erfolgen, sodass die Betreuung insgesamt intensiver ausfiel. Das könnte die Adhärenz gesteigert und die Ergebnisse beeinflusst haben. Daher ist nicht ganz klar, welchen Anteil am Resultat die frühe Rhythmuskontrolle tatsächlich hat, argumentierte Prof. Potpara. Prof. Kirchhof hielt dagegen, dass zwar 300.000 EKGs übermittelt wurden, aber dadurch nur 100 zusätzliche Visiten in fünf Jahren anfielen. Allzu groß dürfte der Zusatzeffekt demnach nicht gewesen sein.

* EAST = Early Treatment of Atrial Fibrillation for Stroke Prevention Trial AFNET = Kompetenznetz Vorhofflimmern

Quelle: European Society of Cardiology Congress 2020 – The Digital Experience