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Was tun, wenn der Diabetespatient seinen Lebensstil nicht ändern will?

Interview Autor: Christine Vetter

Überwinden von Verhaltensmustern? Ein Mammutprojekt! 
Überwinden von Verhaltensmustern? Ein Mammutprojekt! © iStock.com/KatarzynaBialasiewicz
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Bei der Betreuung von Menschen mit Diabetes ist viel Motivationsarbeit gefragt. Das kann frustrierend für Arzt und Patient sein. Im Einzelfall ist einem gut aufgeklärten Patienten dabei auch das Recht zuzugestehen, eine erforderliche Lebensstiländerung konsequent abzulehnen, fordert Professor Dr. Juris Meier aus Bochum.

Wo gibt es aktuell die größten Herausforderungen bei der Betreuung von Menschen mit Diabetes mellitus?

Professor Dr. Juris J. Meier: Es gibt eine gewisse Diskrepanz in der klinischen Diabetologie: Einerseits haben sich die Behandlungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren durch neue Therapieoptionen deutlich erweitert, andererseits erreichen nach wie vor 20 bis sogar 30 % der Diabetes­patienten nicht den therapeutischen Zielwert.

Es ist in der Diabetologie augenscheinlich nicht damit getan, den Patienten Medikamente zu verordnen. Vielmehr sind auch psychische und psychosomatische Faktoren zu berücksichtigen wie zum Beispiel Probleme bei der Krankheitsakzeptanz, Depressionen oder Ängste vor einer Unterzuckerung. Ganz abgesehen davon ist der Lebensstil des Patienten von entscheidender Bedeutung. Jeder aber weiß, wie schwierig es ist, Lebensstilfaktoren zu ändern.

Wie können die Patienten hierzu motiviert werden?

Prof. Meier: Wichtig ist, dass wir Dia­betologen eng mit Psychologen und mit Psychosomatikern zusammenarbeiten, um alle Chancen zu nutzen, die Patienten zu einem gesundheitsbewussteren Verhalten zu motivieren. Die Zusammenarbeit mit Psychologen kann für die Patienten und auch für die Ärzte entlastend sein.

Es ist für die Diabetespatienten möglicherweise ein Ansporn, doch mehr an die eigene Gesundheit zu denken und sich vernünftiger zu verhalten. Auch für die Ärzte ist die Kooperation oft eine Entlastung. Denn es kann für den Diabetologen durchaus frustrierend sein, wenn die vielen engagierten Versuche, den Patienten zu einer Lebensstiländerung zu motivieren, nichts fruchten.

Wie ist vorzugehen, wenn auch der Psychologe keine Lebensstil­änderung bewirken kann?

Prof. Meier: Ich bin davon überzeugt, dass wir in dieser Hinsicht in der Diabetologie umdenken müssen. Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen gibt, die trotz der damit verbundenen Risiken nicht bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern. Selbstverständlich wollen wir alle den Patienten optimal betreuen, sein Stoffwechsel soll gut eingestellt sein. Das aber ist nun einmal nicht bei allen Patienten zu erreichen und oft hapert es an der notwendigen Verhaltensänderung.

Wir müssen lernen, das zu akzeptieren, statt den Patienten immer wieder zu bedrängen. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass wir in puncto Lebensstil­änderung nicht mehr motivierend auf den Patienten einwirken sollen. Aber wir müssen im Einzelfall erkennen, wo uns Grenzen gesetzt sind und wo Patienten diesen Weg nicht mitgehen wollen.

Wie kann das konkret aussehen?

Prof. Meier: Wenn ein gut aufgeklärter mündiger Patient für sich die Entscheidung trifft, sich nicht jeden Tag 30 Minuten zur Bewegung zwingen oder in seinem Ernährungsverhalten grundlegend umstellen zu wollen, müssen wir das akzeptieren. Denn er hat das Recht dazu, sich so zu entscheiden. Wir müssen allerdings dafür sorgen, dass er sich über die Konsequenzen seines Handelns bewusst ist. Wenn wir dies umsetzen, kann es sogar sein, dass die Patienten eher zu einem gesundheitsbewussteren Lebensstil bereit sind.

Und selbstverständlich müssen wir auch ausschließen, dass eine solche Entscheidung Ausdruck einer psychischen Störung ist, also beispielsweise die Folge einer Depression. Auch deshalb ist die enge Kooperation mit Psychologen in der Diabetologie so wichtig, da sie uns hilft, solche Störungen zu erkennen und entsprechend behandeln zu können. Oft bessert sich dann auch die Adhärenz bei der Therapie und auch hinsichtlich der erforderlichen Verhaltensänderung.

Der Diabetologe und Gastroenterologe Prof. Dr. Juris Meier ist Chefarzt der Diabetologie im Diabetes-Zentrum Bochum/Hattingen am St. Josef-Hospital,  Klinikum der Ruhr-Universität Bochum. Der Diabetologe und Gastroenterologe Prof. Dr. Juris Meier ist Chefarzt der Diabetologie im Diabetes-Zentrum Bochum/Hattingen am St. Josef-Hospital, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum. © zVg