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Überdiagnostik in der Brustkrebs-Nachsorge

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Ärzte tun mehr als die Leitlinien verlangen – auch aus Angst, etwas zu übersehen. Ärzte tun mehr als die Leitlinien verlangen – auch aus Angst, etwas zu übersehen. © iStock/nortonrsx
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Wer Brustkrebs überstanden hat, will sichergehen, dass kein Rezidiv auftritt. Leitlinien beschreiben das Vorgehen in der Nachsorge. Tatsächlich wird von den Behandelnden viel mehr getan, das zeigt die Versorgungsforschung.

Rund 320 000 in Deutschland lebende Brustkrebspatientinnen können nach Abschluss der Primärtherapie die Nachsorge in Anspruch nehmen. Dies tut auch der überwiegende Teil der Frauen (94 %), unabhängig vom Alter und vom Zeitpunkt der Operation. Die Nachsorge wird dabei vor allem von Gynäkologen (97 %), Radiologen (65 %) und Onkologen (17 %) durchgeführt. Und auch Hausärzte sind mit einem 16%-Anteil betei­ligt. Nicht-ärztliche Angebote, z.B. durch Heilpraktiker, werden dagegen selten genutzt (2 %).

Das geht aus einer Evaluation der Nachsorgesituation von Frauen nach einer invasiven Brustkrebsbehandlung hervor, über die Professor Dr. Rudolf Weide, Praxis für Hämatologie und Onkologie Koblenz und Gesellschafter des Instituts für Versorgungsforschung in der Onkologie, berichtete. Die Aussagen basieren auf Angaben von 920 Patientinnen, die zwischen 2007 und 2013 in einem zertifizierten Brustzentrum operiert wurden (61 % Responderquote), sowie Ärzten, welche Nachsorge anboten. Von den angeschriebenen Ärzten antworteten 105, vor allem Allgemeinmediziner (51 %) und Gynäkologen (30 %), womit die Responderrate bei nur 12 % lag. Damit zeigte sich nach Aussage von Prof. Weide kein repräsentatives Bild. Allerdings bestätigen die Mitteilungen der Mediziner die von den Patientinnen gemachten Aussagen zu den veranlassten Leistungen.

Probleme nach besiegtem Krebs

Langzeitüberlebende leiden häufig trotz erfolgreicher Krebsbehandlung unter Beeinträchtigungen, die sich auf die gesamte private Lebenssituation und auch auf den beruflichen Werdegang auswirken können. Dazu zählt zum Beispiel das chronische Erschöpfungssyndrom Fatigue. „Aber auch Angst und Anpassungsstörungen sowie Depressionen treten in der Altersgruppe von 15 bis 39 Jahren häufig auf“, weiß Professor Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf vom Universitätsklinikum Leipzig. Dazu kommt ein Beratungsbedarf, zum Beispiel beim Einstieg in den Beruf oder in die Ausbildung. „Die psychoonkologischen und anderen Versorgungsangebote – etwa im Rahmen von Survivorship-Programmen – sollten niederschwellig und spezifisch auf diese Altersgruppe zugeschnitten sein“, empfiehlt die Professorin.

Viel mehr Diagnostik als die Leitlinien vorsehen

Prof. Weide verwies auf die Leitlinienempfehlungen führender Fachgesellschaften auf der Onkologen-Plattform Onkopedia. Hier wird bei Mammakarzinom in den ersten zwei Jahren zur Nachsorge alle drei Monate, in den folgenden drei Jahren alle sechs Monate geraten. „Ganz vorne stehen dabei die Anamnese, die körperliche Untersuchung und die Beratung sowie die mammografische Untersuchung alle zwölf Monate“, so der Internist. Deutlich wurde allerdings sowohl in den Angaben der Patientinnen als auch in jenen der Mediziner, dass über die Leitlinienempfehlungen hinaus zahlreiche Leistungen veranlasst bzw. durchgeführt werden. Anamnese und körperliche Untersuchung waren laut Aussagen der Mediziner zwar mit 92 bzw. 87 % immer noch die Regel, dahinter Labor und Mammasonographie. Doch erst auf dem fünften Platz findet sich die Mammographie (45 %) wieder, gefolgt von Sonographie der Leber und Tumormarkerbestimmung in jeweils mehr als einem Drittel der Fälle. Selbst PET und PET-CT kamen zum Einsatz, wenn auch mit einem 1%-Anteil sehr selten.

Auch geheilte Patientinnen sind oft nicht wirklich gesund

Prof. Weide betonte deshalb noch einmal, dass in der Nachsorge bei Mammakarzinom wie auch bei anderen Krebsarten in erster Linie die Interaktion zwischen Patient und Arzt und die körperliche Untersuchung wichtig sind. Es sei zudem von großem Wert, „wenn eine Patientin oder ein Patient immer zu demselben Arzt kommt“. Das verändere die Gesprächstiefe, Patienten würden in der Folge über Beschwerden berichten, die sie einem fremden Arzt nicht mitteilen würden. So ließen sich somatische und psychosomatische Beschwerden eingrenzen. Auf Nachfrage, wie sich die über Leitlinien hinausgehende umfangreiche Diagnostik erklärt, antwortete der Spezialist: „Ich denke aus zwei Hauptgründen: Der erste ist, die Leitlinien werden vielleicht nicht gekannt. Der zweite ist, Ärzte haben Angst, etwas zu übersehen.“ Er empfahl, die bildgebende Diagnostik gezielt einzusetzen, wenn neue Symptome auftreten, z.B. bei Schmerzen im Oberbauch oder Rückenschmerzen. Man dürfe nicht vergessen, dass geheilte Patientinnen und Patienten durch Nachwirkungen der Tumor­therapie oft nicht gesund sind. Trotz der Überdiagnostik in der Nachsorge zeigte die Umfrage: Die meisten Patientinnen fühlen sich in der Nachsorge gut aufgehoben, auch wenn Defizite gesehen werden hinsichtlich der psychosozialen Betreuung und der Wahrnehmung und Behandlung körperlicher Beschwerden.

Quelle: Deutscher Krebskongress

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