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Ärzte in der Pflicht: Passen Medikamente und Fahrtüchtigkeit zusammen?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Ärzte und Apotheker haben eine besondere Verantwortung, wenn es um die Fahrtüchtigkeit ihres Klientels geht. Darauf verwies Professor Dr. Frank Mußhoff vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Bonn auf dem Symposium „Medikamentenmissbrauch in Deutschland“.

Anhand von Beispielen verdeutlichte der Rechtsmediziner das Problem. Als „Klassiker“ bezeichnet er die alte Dame, die wegen des Gebrauchs von Alkohol und eines Schlafmittelmixes mit ihrem Fahrzeug Schlangenlinien fährt.

Typisch ist auch der Methadon-Patient mit Beikonsum von Beruhigungsmitteln. Morphin 6,6 ng/ml, Codein 10 ng/ml, Methadon 62 ng/ml, Clonazepam 35,6 ng/ml, Carbamazepin in Spuren – das alles fand sich im Blut eines jungen Mannes, der an einer roten Ampel einen Auffahrunfall verursachte. Die spätere Gerichtsverhandlung förderte die Ursache ans Licht: Aufgrund chronischer Rückenschmerzen hatte der Mann vom Orthopäden Methadon erhalten. Der Hausarzt steuerte gegen Schlafstörungen Clonazepam und gegen Krämpfe Carbamazepin bei. Weitere eingenommene Schmerzmittel stammten vom letzten Klinikaufenthalt.

„Betroffene sind häufig ohne Problembewusstsein bezüglich der Teilnahme am Straßenverkehr, vor allem, wenn die Arzneimittel vom Arzt verordnet sind“, so Prof. Mußhoffs Erfahrung. Er legt Ärzten nahe, bei Patienten mit entsprechender Medikation das Fahrverhalten zu klären und infrage kommende Medikamente auf ihr Leistungsminderungspotenzial hin zu prüfen. Er empfiehlt zudem, sich die Information des Patienten über die eingeschränkte Fahrtauglichkeit schriftlich bestätigen zu lassen, um bei Gerichtsverfahren über die Pflichterfüllung einen Nachweis zu haben.  

Fahruntüchtig? Ärzte müssen informieren

Immer wieder würden besorgte Autofahrer den Automobilclub ADAC um Hilfe bitten, weil sie trotz expliziter Nachfrage beim Arzt über eine eventuelle Fahruntüchtigkeit im Unklaren geblieben seien, berichtete der Rechtsanwalt und ADAC-Vizepräsident Ulrich Claus Becker. „Grundsätzlich ist der Fahrzeugführer selbst verantwortlich für die Einschätzung seiner Fahrtauglichkeit“, so der Jurist. Allerdings seien Ärzte aller Fachrichtungen bei der therapeutischen Aufklärung verpflichtet, unaufgefordert auch über eine Fahruntüchtigkeit zu informieren. Die Verletzung dieser Rechtspflicht stelle einen Behandlungsfehler dar. „Arzneimittel sind wertvoll, aber wir brauchen eine qualifizierte Beratung“, betonte auch der ABDA-Geschäftsführer Arzneimittel, Dr. rer. nat. Ernst Pallenbach.

Zum Medikamentenmissbrauch äußerte sich Professor Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Apotheker. Seinen Angaben zufolge gibt es in Deutschland geschätzt 1,4 bis 1,5 Mio. Arzneimittelabhängige und 1,1 bis 1,2 Mio. Benzodiazepinabhängige. Zudem nutzen etwa 200 000 Menschen illegale Drogen, 2,4 Mio. konsumieren Cannabis. Sehr kritisch sieht Schulz Internet-Plattformen wie Land-der-Traeume.de, „wo sich User über Medikamentenversuche an sich selber“ austauschten. Es gebe Anleitungen, wie Wirkstoffe aus Medikamenten extrahiert und umgewandelt werden können, z.B. Ephidrin in Methamphetamin, das gefährliche Crystal Meth.

Einen Einblick in den Medikamentenmissbrauch im Breitensport gewährte Dr. Mischa Kläber vom Institut für Sportwissenschaften der Universität Darmstadt. „Je leistungsorientierter eine Sportart ist, um so wahrscheinlicher ist Medikamentenmissbrauch“, so seine Erkenntnis. Von Nahrungsergänzungsmitteln bis zu harten Drogen – alles wird mehr oder weniger genutzt. Als Dopingpräparate deklarierte Medikamente würden mittlerweile auch verwendet, um Kraftreserven für das abendliche Joggingprogramm zu aktivieren oder die letzten Kraftreserven für ein ambitioniertes Radfahr- oder Schwimm-Workout, sagte Dr. Kläber. Zurückgeschreckt werde auch nicht vor der Einnahme von Tierarzneien für Katzen, Hunde oder Pferde, denn sie seien kostengünstiger und leichter zu bekommen als Humanpräparate.

Leistungssteigernde Mittel im Fitnessstudio

Mit ärztlicher bzw. tierärztlicher Unterstützung können die Sportfanatiker häufig rechnen. In Fitnessstudios ist der Anteil derjenigen, die ihre leistungssteigernden Medikamente über einen Arzt beziehen – ob nun mittels Privatrezept oder via Scheinindikation – in den Jahren 1998 bis 2011 von 15 % auf 28 % angestiegen. Scharf formuliert sei deshalb zu resümieren, so Sportwissenschaftler Dr. Kläber, „dass besagte Mediziner aus Profitgier die Affinität einzelner Sportler zur medikamentösen Leistungssteigerung forcieren“.    

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