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Am Brückentag wird der Arzt geschwänzt!

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Brückentage legen das öffentliche Leben schnell mal lahm. Und auch Ärzte und Patienten machen an solchen Tagen gern mal blau. So die Erfahrung von MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering.

Irritiert fuhr ich durch die verwaisten Straßen meiner Kleinstadt, an der Schule vorbei, wo kein Kind zu sehen war. Was war passiert – ein Atom-Unfall? Oder hatte ich mich versehentlich eine Stunde zu früh auf den Weg in die Praxis gemacht? Nein, keineswegs! Mein Team war bei meinem Eintreffen anwesend, aber das Wartezimmer war nicht wie üblich mit Patienten gefüllt, die auf ihre Blutentnahme warteten. Nur ein einsamer älterer Herr hatte sich zu uns verirrt. Das hartnäckige „Montagsgefühl“ wegen des freien Tages gestern löste sich in der herrlichen Erkenntnis „es war doch schon Freitag“ auf und ergab den Schlüssel: Heute ist Brückentag!


Meine Praxispartnerin und ich teilen diese praktischen Tage schwes­terlich auf; das schienen aber nicht alle Doppelpraxen so zu handhaben. Mit steigender Sonne stieg auch die Zahl der Patienten, die bei uns strandeten, nachdem sie vor der verschlossenen Praxistür ihrer Hausärzte gescheitert waren. Und es war wie immer: Nur der Kollege, der grundsätzlich vorher anruft und fragt, ob wir ihn vertreten könnten, hatte das diesmal getan. Alle anderen hatten den Laden einfach abgeschlossen und darauf vertraut, dass die üblichen Dummen schon für ihre Patienten sorgen würden.

»Nur ein einsamer älterer Herr hat sich in die Praxis verirrt«

„Ich bin mit dem Fuß umgeknickt!“, klagte ein schwergewichtiger junger Mann, der mit einem Krankenhausbrief vom Vortag erschien. Hier hatte man eine Mittelfußfraktur vermutet und nicht sicher ausschließen können. „Es tut scheußlich weh und ist sehr geschwollen. Ich soll mich am besten heute noch bei einem Chirurgen vorstellen.“


Chirurgen: Das sind doch diese tatkräftigen Männer und Frauen, die nicht lange fackeln, ständig im Dienst der Menschheit die Skalpelle schwingen und niemals müde sind? „Kein Problem“, sagte ich und griff zum Telefonhörer. Das Ausmaß der Schwellung hatte mich beeindruckt, und nicht nur der Mittelfuß schien betroffen zu sein.


„Sie rufen außerhalb der Sprechstunde an!“, flötete es aus dem ersten Anrufbeantworter an diesem Freitag um 10.30 Uhr. Dann eben die Doppelpraxis in der Nachbargemeinde. „Die Praxis ist zurzeit nicht besetzt“, wurde ich informiert, während meine Illusion vom Chirurgenleben zerplatzte. „Dann lagern Sie den Fuß mal konsequent hoch, spritzen täglich Heparin und warten bis Montag“, riet ich. „Heute wird das nichts mehr.“ Im Notfall würde er sich an das Krankenhaus wenden müssen. Oder gab es da auch den Brückentag?

»Selbst die Chirurgen machen die Praxis dicht«

Gegen Mittag entspannte sich die Lage spontan. In kluger Vorausschau hatte ich ein paar Routineuntersuchungen auf diesen Tag gelegt. Es gab Berufstätige, die darüber richtig froh waren, sich am Brückentag mal um ihre Gesundheit kümmern zu können. Andere blieben einfach fern; wieso zum Arzt gehen, wenn man stattdessen einen Kurzurlaub genießen kann?


Hätte man beim Vereinbaren der Termine sicherheitshalber erwähnen müssen, dass diese auf einen Brückentag fallen würden? Auch Akupunkturpatienten tauchten ohne Absage nicht auf. War doch egal, mal eine Sitzung auszulassen, schließlich könnte man die ja am Ende wieder anhängen.


„Sie sind ja da, das ist aber toll!“, begrüßte mich am Ende der Sprechstunde noch eine Patientin. „Wieso nicht?“, fragte ich betont unschuldig. „Ich erreiche überhaupt keinen, konnte heute im Büro nur die Hälfte erledigen, weil alle meine Geschäftspartner oder deren Mitarbeiter im Kurzurlaub waren“, sagte sie. „Dann habe ich aufgegeben und mich entschieden, mal meinen lästigen Hus­ten abklären zu lassen.“ Fast dankbar verbrachte ich mit ihr die letzten Sprechstundenminuten, bevor es zu den Hausbesuchen ging.


Unterwegs dachte ich über das typisch deutsche Phänomen „Brückentag“ nach. Es gehört zu uns wie der Gartenzwerg und der Bundesadler; meine Bekannten aus fernen Ländern schütteln darüber die Köpfe. Sie haben schon gelernt, dass man in der Karnevalszeit nicht versuchen darf, eine Kölner Firma anzurufen oder in Mainz ernsthaft arbeiten zu wollen. Dass aber ein ganz normaler Arbeitstag im öffentlichen Leben zum Urlaubstag wird, weil er zwischen zwei Feiertagen liegt, müssen sie erst noch verkraften. Falls ich diese Kolumne ein bisschen abrupt beendet haben sollte, bitte ich um Verzeihung: Ich muss mal eben schnell nachsehen, wie eigentlich der 3. Oktober und Allerheiligen in diesem Jahr liegen. Vielleicht nehme ich da einen Brückentag.

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