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Ambulante Versorgung: Einfach nur Ärzte und Erträge umverteilen?

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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"In Deutschland gibt es so viele Ärzte wie noch nie", stellt der GKV-Spitzenverband fest und meint, dass mit der "klassischen Einzelarztpraxis und politisch initiierten Honorarerhöhungen die Versorgungsprobleme nicht gelöst" werden könnten.

Auf einer Pressekonferenz sorgte der GKV-Spitzenverband jüngst für Stimmung. Sein Tenor: Die Zahl der ambulant tätigen Ärzte lag 2012 mit gut 144 000 um 56 % über dem Niveau von 1990. Und die Reinerträge sprudeln munter (2011: im Schnitt 166 000 Euro pro Praxisinhaber).

Durch Strukturveränderungen wie multidisziplinäre Teams, Filialpraxen, befristete Zulassungen, mehr Anstellungsverhältnisse und die stärkere Einbeziehung nicht ärztlicher Fachkräfte könnten Versorgungsprobleme behoben und Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben werden. Seine Botschaft untermalt der Kassenverband mit Grafiken, Tabellen und Faktenblättern.

 

Als „unerhört“ weist der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich, den "von den Krankenkassent geäußerten Generalverdacht" zurück, "Ärzte würden zur Steigerung ihres Honorars absichtlich falsche Diagnosen stellen".

Dr. Heinrich: "Patienten werden älter und daher auch kränker. Wer das bezweifelt, ignoriert die Realität. Die geforderte Rolle rückwärts bei der Berechnung der Vergütung – weg von der Morbiditätsorientierung – spricht Bände: Den Kassen geht es allein um die Einsparung der Kosten."

Seit 2009 schultern die Krankenkassen das Morbiditätsrisiko: Wenn die Ärzte aufgrund eines erhöhten Behandlungsbedarfs mehr leisten, steigt die Gesamtvergütung. Doch der GKV-Spitzenverband moniert: "Es gibt klare Hinweise dafür, dass die Qualität der dokumentierten Diagnosen nicht ausreichend ist."

So wäre auf Basis der von den Ärzten aufgeschriebenen Diagnosen die Anzahl der Diabetiker jährlich um 8 % gestiegen, tatsächlich habe laut Robert Koch-Institut der Zuwachs aber nur knapp 2 % betragen, nennt der Kassenverband ein Beispiel. Damit sät und pflegt er Zweifel, dass Diagnosen "übertrieben aufgeschrieben werden, um mehr Honorar für die Ärzteschaft herauszuholen", wie es Vorstandsvize Johann-Magnus von Stackelberg formuliert.

 

Kodierverhalten der Ärzte regional unterschiedlich

Als ein Indiz führt der GKV-Verband an, dass die diagnosebezogenen Veränderungsraten – beeinflusst vom regionalen Kodierverhalten der Ärzte – je nach KV stark variieren und auch von Jahr zu Jahr erheblich schwanken können.

In Richtung Gesetzgeber fordert von Stackelberg, dass die Morbiditätsentwicklung künftig "im Kern" als Teil des demografischen Wandels erfasst werden soll.

Zudem fordert er "unabhängige Morbiditätskriterien aus der offiziellen Gesundheitsberichterstattung". Die Vergütung müsse sich "stärker am Behandlungsergebnis (Qualität) orientieren und nicht an vom Arzt aufgeschriebenen Diagnosen", so der Kassenverband. Neue Leistungen aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts "werden selbstverständlich auch in Zukunft zusätzlich vergütet", heißt es.

Um der "Ungleichverteilung der Arzteinkommen" (zugunsten der technikorientierten Praxen und zulasten der sprechenden Medzin) entgegenzuwirken, schlägt der GKV-Spitzenverband vor, den Anreiz zur Mengenausweitung bei technischen Leistungen durch Neubewertungen im EBM zu reduzieren. Damit ist eine aktualisierte Kostenkalkulation bei den Bewertungen gemeint.

Die Menge an technischen Leistungen via EBM bremsen

Die Zeit­annahmen für die Leistungserbringung sollen mithilfe von Abrechnungsdaten auf Plausibilität geprüft und ggf. korrigiert werden. Die fixen Kosten sollen als Pauschale je Fall bezahlt und auf eine bestimmte Fallzahl begrenzt werden. "Der variable Kostenanteil, insbesondere die Arbeitszeit des Arztes, wird wie bisher leistungsbezogen vergütet."

Der GKV-Verband negiert nicht, dass sich "schon heute der Hausärztemangel von morgen" abzeichnet; 2012 erfolgten nur 11 % aller Facharztanerkennungen in Allgemeinmedizin.

Von Stackelberg: "In Deutschland werden viel zu wenige Hausärzte ausgebildet. Hier haben die Länder bei der Universitätsausbildung und die ärztliche Selbstverwaltung bei der Organisation der Weiterbildung sowie bei der Ausgestaltung von Bedarfsplanung und Zulassungsrecht keinen guten Job gemacht."

Für unterversorge Gebiete wären genügend Hausärzte da


Jedoch fehlten nur 95 Hausärzte, um in den knapp 2 % der Planungsbereiche, die als unterversorgt gelten, eine Dichte von 100 % zu erreichen. Um in allen Regionen mit einem Versorgungsgrad von unter 100 % den Zielwert der Bedarfsplanung zu schaffen, würden bundesweit 974 Hausärzte benötigt. "Gleichzeitig sind in den überversorgten Regionen 2162 Haus­ärzte zu viel zugelassen."

Für Chirurgen, Gynäkologen, Kinderärzte, Orthopäden und Urologen bestehe keine Unterversorgung. Bei Augenärzten, HNO- und Nervenärzten seien jeweils ein Planungsbereich, bei den Hautärzten fünf Gebiete unterversorgt.

"Bei den allgemeinen Fachärzten könnten noch etwa 526 Ärzte zugelassen werden, bis auch der letzte Planungsbereich gesperrt würde. Gleichzeitig sind über die Marke von 110 % hin­aus 8122 Ärzte zu viel zugelassen."

Auf die Arztkapazitäten statt auf die Kopfzahlen schauen!

"Wer immer noch versucht, mit der absoluten Zahl an Ärzten den Versorgungsmangel in Klinik und Praxis wegzureden, der hat die Zeichen der Zeit einfach nicht erkannt.

Mittlerweile müsste auch dem letzten Kassenfunktionär klargeworden sein, dass die tatsächlich zur Verfügung stehenden Arztstunden im Verhältnis zum gestiegenen Behandlungsbedarf entscheidend sind", meint der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery.

Die Krankenkassen hätten als Teil der gemeinsamen Selbstverwaltung durch die Überbetonung von Wettbewerb und Verbürokratisierung selbst maßgeblich dazu beigetragen, dass die Attraktivität des Arztberufes dramatisch gesunken sei.

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