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Arzneimittelmissbrauch: Bis zu 1,5 Millionen Süchtige

Gesundheitspolitik Autor: Thomas Trappe

Die Apotheker sind besorgt: Die „Trivialisierung“ der öffentlichen Wahrnehmung von Arzneimitteln nimmt zu.
Die Apotheker sind besorgt: Die „Trivialisierung“ der öffentlichen Wahrnehmung von Arzneimitteln nimmt zu. © iStock.com/altmodern
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Auffällig viele Menschen nehmen Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit ein – etwa zur Leistungssteigerung, warnt die Bundesapothekerkammer. Sie sieht darin auch ein Indiz, dass Arzneimittel in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend „trivialisiert“ werden.

Die Bundesapothekerkammer (BAK) befürchtet, dass die Bürger zunehmend sorgloser mit Medikamenten umgehen. In Berlin präsentierte Kammerpräsident Dr. Andreas Kiefer die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage von 5000 16- bis 70-Jährigen. Demnach hat schon jeder Sechste verschreibungspflichtige Medikamente zur Steigerung des Wohlbefindens und ohne medizinische Notwendigkeit eingenommen. Weitere 26 % können sich vorstellen, solche Arzneien ohne Indikation einzunehmen.

Bei den nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten gaben 30 % an, diese bereits ohne medizinische Notwendigkeit angewendet zu haben, ein Viertel der Befragten hält dies für akzeptabel, sagt die Studienverantwortliche Corina Frahn.

Wenn man leistungsfähig, schön und cool sein muss

Als häufigste Gründe für die Einnahme gaben 45 % die Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit an, z.B. vor einer Prüfung, Präsentation, wichtigen Verhandlungen oder einem schwierigen Gespräch. 27 % ging es um die körperliche Leis­tungsfähigkeit, z.B. Muskelaufbau oder Abnehmen. Und 40 % reduzierten ihre Nervosität.

Im Fragebogen wurde allerdings den Befragten nicht erklärt, was „medizinische Notwendigkeit“ bei Arzneimitteln eigentlich bedeutet.

Immerhin bestätigten 92 %, dass bei rezeptfreien Medikamenten auf Dauer und Häufigkeit der Anwendung geachtet werden muss.

Nach Darstellung von Dr. Kiefer verstärkt sich bei den Apothekern, die täglich 3,6 Mio. Kundenkontakte haben, der Eindruck, „dass die Nachfrage nach leistungssteigernden Arzneimitteln deutlich größer geworden ist“. Medikamente seien aber „kein Gebrauchs-, sondern ein Vertrauensgut“. Die Apotheker seien sich ihrer „Verantwortung als Heilberufler bewusst“, so der Präsident. Verhindert werden könne die Fehlnutzung vor allem durch „Expertenrat“ in den „wohnortnahen Apotheken“.

§ 17 Abs. 8 Apothekenbetriebsordnung erlaubt es dem pharmazeutische Personal bei begründetem Verdacht auf Medikamentenmissbrauch die Abgabe zu verweigern. Indizien für einen bedenklichen Konsum sind z.B. „kritische“ Arzneien auf Privatrezept oder Rezepte verschiedener wohnortferner Ärzte für denselben Patienten, Rezeptfälschungen und Reklamationen einer Minderfüllung nach vorheriger Entnahme.

1,4 bis 1,5 Millionen Arzneimittelsüchtige in Deutschland

Laut Professor Dr. Martin Schulz, BAK-Geschäftsführer des Bereichs Arzneimittel, gibt es in Deutschland 1,4 bis 1,5 Mio. Arzneimittelsüchtige. Benzodiazepine bzw. Z-Substanzen machten drei Viertel aller Fälle aus. 4 bis 5 % aller verordneten Medikamente hätten ein Abhängigkeits- und Suchtpotenzial.

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