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Arzt und Politik: (k)ein Widerspruch

Autor: Dr. Günter Gerhardt

Ärzte sollten nicht auf politische Teilhabe verzichten – schon gar nicht, wenn eine Debatte ihren Wirkungsbereich berührt. Ärzte sollten nicht auf politische Teilhabe verzichten – schon gar nicht, wenn eine Debatte ihren Wirkungsbereich berührt. © iStock/Oleg Elkov
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In der Debatte um Coronaleugner in der Ärzteschaft redet man vielerorts der politischen Abstinenz von Medizinern im beruflichen Kontext das Wort. Unser Kolumnist plädiert hingegen für eine Politik der ersten Person.

Als die SED 1961 von der Ärzteschaft der Charité ein schriftliches Bekenntnis zur Mauer verlangte, sagte – zumindest in der Serie „Charité“ – ein Arzt zu seiner Kollegin: „Wir sind Ärzte und keine Politiker!“ Diese Einstellung des Charité-Kollegen ist meines Erachtens falsch! Ich finde, es darf keine Trennlinie zwischen privat und beruflich einerseits und öffentlich und politisch andererseits geben. Man nennt das auch die „Politik der ersten Person“ oder: Das Private ist politisch. 

Ich glaube, dass politische Aktionen von den Betroffenen ausgehen müssen – ein schönes Beispiel sind hier für mich etwa die Suffragetten. Oder eben ganz aktuell die Aktion in focus online, in der Betroffene des Impfchaos zu Wort kommen. „Haben Politiker keine Ahnung mehr, wie das Leben von Senioren abläuft?“ 

Meine Überzeugung: Die apolitische Ärztin, den apolitischen Arzt kann und darf es eigentlich nicht geben. Wobei politisch natürlich ein weiter Begriff ist. Er reicht vom informierten Mitreden bis zu einer Entscheidung zugunsten der Berufspolitik, siehe Ursula von der Leyen, Karl Lauterbach, Helge Braun, Peter Tschentscher, Philipp Rösler bis zu den AfD-Abgeordneten Robby Schlund und Axel Gehrke (deren Namen zu nennen, mir schwerfällt). 

Der Einstieg in die Politik ist für uns Ärztinnen und Ärzte recht einfach: Man wählt uns gerne hoch. Mit einer Wahl in den Gemeinde- oder Stadtrat fängt es meistens an. Aber schon dort kann es – so meine Erfahrung – zu inneren Konflikten bei Meinungsäußerungen und insbesondere Abstimmungen kommen. Folge ich dem Beschluss der Fraktion oder dem hippokratischen Eid bzw. der moderneren Genfer Deklaration? Im englischen Originaltext heißt es da nämlich: “I will share my medical knowledge for the benefit of the patient and the advancement of healthcare.“ 

Aber sind vor diesem Hintergrund vielleicht auch die scheinbar auseinanderdriftenden Meinungen und Maßnahmen der einzelnen Bundesländer in der Pandemie auf einmal nachvollziehbarer? Die Länder werden jeweils von ihren eigenen Expert*innen beraten. Diese handeln „nach ihrem Vermögen und Urteil“. 

Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, sagte zwar 2016, also weit vor der Coronakrise: “Es ist kaum möglich, sich unter den gegebenen Umständen als Arzt noch ethisch zu verhalten.“ Ich glaube aber trotzdem an dieses ethische Verhalten der Expert*innen, und zwar bei den allermeisten. Es liegt also auf der Hand, dass deren Meinungen und Entscheidungen auch mal auseinanderdriften, je nachdem mit welchem Background, naturwissenschaftlich oder geisteswissenschaftlich, geurteilt wurde.

Vorsicht ist dagegen geboten, wenn wir uns – aus welchen Gründen auch immer – vom hippokratischen Eid entfernen. Das muss nicht immer falsch sein! Aber dann müssen die Expert*innen ihre Expertise in z.B. Ethikräte einbringen und Politiker*innen, gerade wenn sie eine Führungsposition innehaben (s. die Physikerin Angela Merkel), ihren Sachverstand nachvollziehbar und transparent ins Spiel bringen. 

Welche fatalen Auswirkungen das Verlassen einer moralischen Grundkonstante haben kann, wird uns spätestens in der Coronakrise überdeutlich klar, wenn triagiert werden muss. Portugal scheint einen medizinisch nachvollziehbaren Weg eingeschlagen zu haben: Vor den Krankenhäusern wurden Zelte mit der Aufschrift TRIAGEM aufgeschlagen. In ihnen wird entschieden, ob Corona-Patienten auf der Intensivstation, der Normalstation oder zu Hause weiterbehandelt werden. 

Ergebnis einer Politik der ersten Person? Sie könnte auch in Deutschland zu befriedigenderen Lösungen führen. Und zwar nicht nur für den Fall einer Triage in der Pandemielage, sondern auch im Zusammenhang mit anderen medizinisch und politisch kontrovers geführten Diskussionen. Ein aktuelles und bewegendes Beispiel ist etwa der assistierte Suizid. Eine zwar in der Zukunft liegende, aber doch grundsätzliche persönliche Betroffenheit kann hier wohl niemand für sich ausschließen.

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