Anzeige

Arzt verklagt den Freistaat Bayern auf Haftentschädigung

Gesundheitspolitik Autor: Caroline Mayer

Anzeige

Als Mitglied der "Rentnergang vom Chiemsee", die im Sommer 2009 einen Anlageberater entführte, gelangte Dr. Gerhard Fleischner zu zweifelhaftem Ruhm. Seit Jahren kämpft der 73-jährige Arzt um seine Rehabilitation.

Am Morgen des 17. Februar hat sich eine kleine Gruppe vor dem Sitzungssaal 28 des Münchner Justizpalastes versammelt. Um 9 Uhr soll in der Sache "Fleischner gegen den Freistaat Bayern" verhandelt werden. Der Prozess ist eine späte Randnotiz zu einer wilden Kriminalgeschichte, die den oberbayerischen Landkreis Traunstein vor einigen Jahren in Atem hielt.

Am Abend des 16. Juni 2009 entführen der damals 74-jährige Bauunternehmer Roland K. und sein Komplize Willi D. den Anlageberater James A. vor dessen Wohnung in Speyer. Im Kofferraum ihres Autos verfrachten sie den Mann an den 500 Kilometer entfernten Chiemsee.

Zwielichtiger Anlageberater sollte Geld wieder rausrücken

Dort wohnt Roland K. mit seiner 79-jährigen Frau Sieglinde. Die Eheleute kennen A. aus Florida, wo sie sich jedes Jahr mehrere Monate aufhalten. Sie haben dem Anlageberater ihre Ersparnisse anvertraut – für Immobiliengeschäfte in den USA, die hohe Zinsen bringen sollen. Als die Immobilienblase platzt, ist das Geld weg. Das Rentnerpaar fordert von A. einen Millionenbetrag, schaltet einen Anwalt ein. Ohne Erfolg.

Weil sie sich vom Rechtsstaat im Stich gelassen fühlen, entschließen sich die beiden Senioren, auf eigene Faust Gerechtigkeit herzustellen. Mehrere Tage halten sie A. im Keller ihres Hauses fest. Willi D., der für den Anlageberater gearbeitet hat und sich um eine Provision geprellt fühlt, hilft ihnen. Sieglinde kocht, die beiden Männer bedrohen und schlagen den unfreiwilligen Gast.

Dann kommt auch noch ein älteres Ärzte-Ehepaar aus Schliersee zu Besuch: die Dres. Gerhard und Iris Fleischner, damals 66 und 63 Jahre alt. Sie haben ebenfalls viel Geld verloren, weil sie dem zwielichtigen Berater gerne glaubten. Jetzt wollen sie ihre 300 000 Euro wiedersehen.

A. rettet sich mit einem Trick. Er erklärt, er werde Wertpapiere verkaufen und mit dem Erlös das Geld zurückzahlen. Auf einem Fax, das er von Roland K.s Faxgerät an einen Treuhänder in der Schweiz schickt, setzt er einen verschlüsselten Hilferuf ab: "Sell 100 Call Pol.ICE".

Urteil: Versuchter Mord durch Unterlassung

In der Nacht stürmt ein Sondereinsatzkommando der Münchner Polizei das Haus des Bauunternehmers. Roland K., Sieglinde K. und Willi D. werden an Ort und Stelle verhaftet, die Fleischners nimmt die Polizei am nächsten Tag fest.

Alle Angeklagten sitzen mehrere Monate in U-Haft. Im März 2010 verurteilt das Landgericht Traunstein Roland K. als Haupttäter zu sechs Jahren Haft, Willi D. muss für vier Jahre hinter Gitter. Sieglinde K. und Dr. Iris Fleischner kommen mit Bewährungsstrafen davon.

Das Verfahren gegen Dr. Gerhard Fleischner ist zu diesem Zeitpunkt bereits eingestellt. Aus gesundheitlichen Gründen wurde er als verhandlungs- und haftunfähig eingestuft. Aber fast acht Monate hat er in der JVA Stadelheim auf der Krankenstation zugebracht.

"Versuchter Mord durch Unterlassung" sei das gewesen, urteilt Dr. Fleischner heute. Bei seiner Verhaftung habe er bereits an einer schweren Herzkrankheit und an Diabetes gelitten, in der Untersuchungshaft seien ihm notwendige Therapien verweigert worden. Deswegen hat er das Land auf eine Haftentschädigung in Höhe von 200 000 Euro verklagt. "Es geht mir gar nicht nur um das Geld", sagt er. "Ich will zeigen, dass der Haftbefehl von Anfang an ungültig war."

In zwei Büchern ("Die Rentnergang vom Chiemsee" und "Die armen Hunde von Stadelheim") hat Dr. Fleischner seine Sicht auf die Dinge dargestellt und die Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt angeprangert. Auf der Internetseite www.justizopfer.tv schildert er seinen Fall und andere "Schurkenstücke der Justiz".

Eine kleine Gruppe von Widerständigen, die ebenfalls Misstrauen gegen die bayerische Justiz hegen, unterstützt Dr. Fleischner. Darunter der selbsternannte Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder. Er interessiert sich für alle Dissertationen, die die beteiligten Staatsanwälte und Richter verfasst haben. Heute hat er die Doktorarbeit der Anwältin im Visier, die den Freistaat als Beklagten vertritt.

Artikel aus Medical Tribune als Beleg präsentiert

Der prominenteste Unterstützter ist aber Gustl Mollath. Der ehemalige Psychiatrie-Patient wider Willen ist an diesem Morgen ebenfalls in den Justizpalast gekommen, um als Zuhörer seine Solidarität zu zeigen.

Vor dem Richter begründet Dr. Fleischner seine Klage mit einem Medical-Tribune-Artikel: "Hier ist genau mein Krankheitsbild zum Zeitpunkt meiner Verhaftung beschrieben", ruft er und hält eine Kopie in die Luft. "Da steht eindeutig: Jeder zweite Patient stirbt innerhalb von fünf Jahren. Als Risikopatient hätte ich nie verhaftet werden dürfen!"

Die Anwältin des Freistaats weist alle Anschuldigungen zurück. Eine gütliche Einigung werde nicht angestrebt. Zudem beruft sich der Freistaat auf Verjährung. Das muss die Kammer als Erstes prüfen. Am 16. März soll die Entscheidung bekannt gegeben werden.


Quelle: Medical-Tribune-Bericht

Anzeige