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Back to the roots – oder zurück zur Topfpflanze

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Ein Praxisumzug in die ehemaligen Räume zurück - Dr. Robert Oberpeilsteiner stellt sich die Frage: Was hat sich in der Zwischenzeit verbessert?

Puh, so einen Praxisumzug wünsche ich niemandem. In Bayern sagt man, lieber dreimal abgebrannt als einmal umgezogen. Das kann ich jetzt gut nachvollziehen. Dabei ist eigentlich alles prob­lemlos gegangen. Aber, was sich in zehn Jahren alles ansammelt – in vielen Ordnern, in manchem Schrank, an Ausrangiertem, aber nicht Entsorgtem, ist doch eine Menge – doch endlich bin ich in meinen neuen Praxisräumen.


Es gab nur einmal kurz Stress, als der Techniker der Telefongesellschaft die Anschlüsse schalten sollte. Er hatte etwas gezögert, die Zange schon in der Hand. Sollte er das rote oder das grüne Kabel durchschneiden? Wir kennen dies aus vielen Filmen. Das falsche Kabel und die Bombe geht hoch. Was er dann schließlich entschlossen kappte, war der Internetanschluss meines Vermieters. So kam es tatsächlich zur Explosion.


Ich bin eher zufällig in die gleichen Räume zurückgekehrt, in denen ich vor einem Vierteljahrhundert meine Freiberuflichkeit begann. Und jetzt juckt den Kolumnisten natürlich die Frage: Was hat sich verändert in dieser Zeit? Was ist besser geworden? – Oder vorsichtiger gefragt: Ist überhaupt etwas besser geworden?

»Der graue
 Gedächtnisklon wird nie mein Freund«

Der erste Eindruck jedenfalls ist zwiespältig. Da, wo jetzt der Computer steht, kümmerte damals eine mickrige Topfpflanze vor sich hin. Sie reagierte auf freundliche Zuwendung und beherztes Gießen aber immer mit positiven Signalen. Mein Computer eher nicht. Ich will ihn aber hier nicht öffentlich kränken. Schließlich bin ich auf seine Mitarbeit angewiesen. Und seine Bedeutung hat im Laufe der Jahre zugenommen, was er mich spüren lässt, wenn er gekränkt ist. Dies wiederum schlägt umgehend auf die Stimmung in der Praxis durch. Sibylle Berg drückte es in Spiegel online einmal so aus: „Viele sind unglücklicher über einen kaputten Computer als über ihre kaputte Großmutter.“


Aber ich will nicht lamentieren. Es ist nur ziemlich mühselig, etwas zu finden, was besser geworden sein soll. Vielleicht sollte ich es nicht allein an der Topfpflanze festmachen. Es gibt ja schließlich den medizinischen Fortschritt, neue technische Möglichkeiten, pharmakologische Neuerungen, Grundlagenforschung mit Aussichten auf völlig neue Behandlungsstrategien. Das sind stete Verbesserungen.


Aber im Praxisalltag? Was hat sich wirklich verändert? Nehmen wir zum Beispiel die nervigen Regresse. Im letzten Jahrtausend eingeführt, um uns zu disziplinieren, sind sie jetzt endlich aus der Welt geschafft! Na ja, nicht so direkt. Es gibt sie noch. Aber sie sehen nicht mehr aus wie Drohbriefe einer finsteren Organisation. Was früher von mir nur mit spitzen Fingern angefasst wurde, erinnert heute eher an einen Werbeflyer der Telekom. Bunt gestylte Botschaften mit roten und grünen Punkten. Weil das der Vertragsarzt leicht versteht: Grün ist Ziel erreicht. Rot ist nicht gut. Leider gar nicht gut. Das wissen wir ja alle noch aus der Fahrschule. Dass die Statistiken sich dabei manchmal auf Fallzahlen beziehen, die nahe null gehen, sollte man nicht zu eng sehen. Denn welche Statistik ist schon perfekt.


Echte Fortschritte erkenne ich freilich im Abbau der Bürokratie. Unsere Quartalsabrechnungen landen jetzt fehlerfrei, mit Lichtgeschwindigkeit versandt, in der Verwaltung. Keine Zettelwirtschaft mehr, kein unleserliches handschriftliches Gekritzel. Die Sachbearbeiter drücken auf den Knopf, lehnen sich zurück und bestellen Kaffee. Jetzt können sie sich in Ruhe auf ihre wirkliche Arbeit konzentrieren. Kontrolle. Statistiken. Wer jetzt sagt, was haben wir damit zu tun, der sollte nicht vergessen: Es ist immerhin unser Geld.


Apropos unser Geld. Natürlich gibt es diesen Fortschritt nicht umsonst. Grob geschätzt, habe ich mir mittlerweile die fünfte Computeranlage angeschafft. Immer den Bedürfnissen folgend. Meine Hardwarekapazität erhöhte sich im Laufe der Jahre um das 6000-fache. Glücklicherweise ist die Patientenzahl rückläufig, so spare ich wenigstens dadurch schon mal beim Speicher.


Leider habe ich den begründeten Verdacht, dass 249 Gigabyte davon ausschließlich dafür da sind, um mich zu kontrollieren und mir die Arbeit zuzuschustern, die früher andere machten. Nein, ich beschwere mich nicht. Immerhin habe ich noch ein Gigabyte für den eigenen Gebrauch. Das reicht dicke. Könnte glatt noch was abgeben davon.

»Ist es ein 
Regressbrief oder doch ein Werbeflyer?«

Ich will daher nicht klagen. Nur eine kleine Anregung an die Entscheidungsträger für deren nächste Sitzung. Vielleicht könnte mich mal einer anrufen und fragen, wie ich das eigentlich alles finde? Na ja, vielleicht würde ich auch gerne einmal mitreden.


Rote und grüne Punkte sind ja schön und gut. Aber ich brauche sie nicht. Meinetwegen kann man den ganzen Regress gerne abschaffen. Dann verwechsle ich die Schreiben wenigstens nicht mehr mit denen der Telekom.


Und noch eins. Ich würde ganz gerne selbst über den technischen Fortschritt in meiner Praxis entscheiden. Und ihn mir nicht von dem Verbund aus KV, Krankenkassen und Softwarefirmen vorschreiben lassen. Aber schon gar nicht mag ich es, wenn mein Computer entscheidet, ob ich die Kohle, die ich mir im Quartal wirklich redlich verdient habe, auch ausbezahlt bekomme. Solange dieser graue Gedächtnisklon meine Abrechnung nicht versendet, nur weil bei seinen beschränkten Deutschkenntnissen irgendwo ein Komma falsch steht, wird er nie mein Freund.


„Back to the roots“, sagten einige Patienten, als ich ihnen erklärte, dass ich wieder in die alte Praxis ziehe. Sehr frei übersetzt könnte man sagen: Zurück zur Topfpflanze! Ich hab mir für alle Fälle wieder eine reingestellt. Die brauch ich nur zu gießen und lieb anzuschauen. Dann ist sie schon zufrieden. Was will man mehr?

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