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Bestechung? Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Nec-aut-idem-Rezepte

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Die Staatsanwaltschaft Osnabrück prüft eine ungenannte Zahl von Vertragsärzten aus Niedersachsen sowie Verantwortliche der Ärztegenossenschaft und einer Pharmafirma wegen Untreue, Bestechung bzw. Bestechlichkeit und Korruption.

Anlass der staatsanwaltschaftlichen Überprüfung ist eine Meldung der KV und der AOK Niedersachsen. Der Kasse war im vierten Quartal 2010 die regionale Häufung von Nec-aut-idem-Verordnungen zugunsten der Bad Segeberger Q-Pharm AG aufgefallen, einer Ende 2000 als Tochterunternehmen der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein gegründeten Generikafirma. Die KV bestätigte die Auffälligkeit der Verordnungen durch Mitglieder der Ärztegenossenschaft Niedersachsen-Bremen (ägnw).

Das verwundert nicht wirklich, da Q-Pharm bekanntermaßen Kooperationspartner etlicher Ärztegenossenschaften wie der in Oldenburg ist. Diese wiederum erinnert ihre etwa 1000 Mitglieder an die Möglichkeit, „aut idem“ bei Verordnungen auszuschließen – soweit dies medizinisch notwendig ist. Q-Pharm zahlt der Ärztegenossenschaft eine Art Provision.

Dieses Geld – ägnw-Geschäftsführer Dr. Andreas Rühle sprach gegenüber MT von „maximal 30 000 Euro im Quartal“ – wird laut Dr. Rühle in neue Versorgungsstrukturen wie Verträge der Integrierten Versorgung investiert. Er betont, dass keine Ausschüttungen an die Gesellschafter und keine Zuwendungen an Ärzte gezahlt werden.

AOK befürchtet Nachteile für ihre Rabattverträge

Für eine Änderung des Verordnungsverhaltens der Genossen sieht er keinen Anlass. Der Aut-idem-Ausschluss – „sofern medizinisch notwendig“ – sei für die Patienten sinnvoll. Auch von der Wirtschaftlichkeit der Q-Pharm-Präparate ist man bei der ägnw überzeugt.

Obwohl dieses Geschäftsmodell in der Vergangenheit schon für Schleswig-Holstein öffentlich wie folgenlos diskutiert wurde, sieht die AOK Niedersachsen Handlungsbedarf. Denn heute würden andere Umstände gelten. Pressesprecher Carsten Sievers verweist auf die Arzneirabattverträge, die durch gezielte Nec-aut-idem-Verordnungen unterlaufen werden könnten.

Angaben zur Zahl der auffälligen Ärzte und zur Schadenshöhe konnte er gegenüber Medical Tribune nicht machen. Noch immer seien Kassenmitarbeiter damit beschäftigt, Rezepte „manuell“ auf Aut-idem-Ausschlüsse hin auszuwerten. Das betrifft neben dem Quartal IV/10 auch das erste Halbjahr 2011 bis zur Meldung des Verdachts an die Staatsanwaltschaft.

Verordnende Vertragsärzte: „Amtsträger“ oder „Beauftragte eines geschäftlichen Betriebs?

Einfluss auf die Bewertung der Angelegenheit kann auch die in diesem Jahr erwartete Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs haben. Darauf verweist die Osnabrücker Staatsanwältin Wibke Warnking. Dem Senat wurden zwei Fälle vorgelegt, bei denen zu entscheiden ist, ob Vertragsärzte bei ihren Verordnungen als „Amtsträger“ oder „Beauftragte eines geschäftlichen Betriebs“ (der GKV) anzusehen sind. Ist Letzteres der Fall, könnte eine Umsatzbeteiligung ein Delikt nach § 299 StGB darstellen.

In einem BGH-Fall geht es um 10 000 Euro bzw. 5 % des Hersteller­abgabepreises von verordneten Arzneimitteln eines Unternehmens an einen Arzt – deklariert als Honorar für nicht gehaltene Vorträge. Einstimmiger Beschluss der KV-Delegierten Berichte in der „HAZ“ und den „Kieler Nachrichten“ machten nicht nur die Ermittlungen öffentlich, sondern erwähnten auch, dass KV-Vize Dr. Berling zu den Verdächtigten gehört. Der Allgemeinarzt war Anfang dieses Jahres überraschend zum KV-Vorstand der hausärztlichen Seite gewählt worden, getragen von einem Bündnis der Liste „KVneu“, die u.a. von der Ärztegenossenschaft unterstützt wird, und der Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände.

KV-Vertreterversammlung: keine Veranlassung für Maßnahmen

Nachdem sich zunächst der KV-Hauptausschuss als Quasi-Aufsichtsrat informieren ließ, nahm vergangene Woche die Vertreterversammlung in Klausur „den Sachverhalt zur Kenntnis“. Offizielle Auskunft: Die VV kam bei zwei Enthaltungen zu dem einstimmigen Beschluss, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung für Maßnahmen, die „organschaftliche und dienstrechtliche Stellung“ ihres Vorstands Dr. Berling betreffend, sieht.

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