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Blaue Kniebinde für die Selbstheilungskraft

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Wie MT-Kolumnistin Dr. Cornelia Tauber-Bachmann Ärzten mehr Freizeit verschaffen will. Erkenntnisse einer Hüttenwanderung.

Es war auf einer abgelegenen Hütte im Hochgebirge. Für diejenigen, die das Hüttenleben nicht kennen: Grundsätzlich sind dort alle Gäste untereinander per „Du“, die Hütten oft klein und um Platz zu finden, muss man/frau sich mit den anderen um einen Tisch eng zusammensetzen. So kommen die Wanderer untereinander schnell in Kontakt und ins Gespräch.

Gemeinsam ist die Freude am Wandern oder Klettern, an der Natur und am Trotzen gegen Wetter und Widrigkeiten – also die viel besungene Bergkameradschaft. Die Begegnungen sind manchmal auch deswegen so interessant, weil es ganz unvermittelt zu sehr ehrlichen und intensiven Gesprächen kommt – wie bei manch anderen nur kurzen Kontakten auch. Wenn die Aussicht, eine Person nie wiederzusehen, eher wahrscheinlich ist, müssen wir uns nicht so sehr verstecken.

»Warum muss es immer gleich schamanisch sein«

So kamen wir am sonnigsten – und daher begehrtesten – Platz vor der Hütte mit traumhafter Aussicht auf Hochgebirgsseen und Felsformationen mit zwei jungen Frauen ins Gespräch. Die eine trug eine schicke stahlblaue Binde ums linke Knie und versuchte, so gut es bei den engen Platzverhältnissen ging, das Bein hochzulagern.

Die beiden Frauen entpuppten sich als Studentinnen auf gemeinsamer Langstreckenwanderung. Eine studierte Völkerkunde, eine Graphikdesign. Die farblich auffällige Binde gehörte freilich zu der angehenden Graphikerin. Binnen kurzer Zeit erfuhren wir: Sie hatten einen Ruhetag eingelegt, um sich entspannen und neue Kräfte für ihre weitere Wanderung zu sammeln.

Dieser Ruhetag sei zwar grundsätzlich geplant gewesen, aber jetzt würden sie auf das Knie Rücksicht nehmen. Natürlich konnte ich meine Neugier – deformation professionelle! – schlecht zurückhalten und fragte nach dem Knie. Nein, weder Verletzung noch Trauma, einfach Knieschmerzen und eine leichte Schwellung. Im Sinne der Bergkameradschaft bot ich meine Hilfe an, aber die junge Frau lehnte freundlich ab, das sei nicht nötig.

Wir unterhielten uns weiter, das Abendessen war noch in weiter Ferne, und so erzählte sie mir fast nebenbei, dass sie sich bei Beschwerden aller Art „in Ruhe und in ihren Körper“ zurückziehe. Ihre Freundin verdrehte schon bei dieser Äußerung die Augen zum Himmel! Dann könne sie, meinte die junge Frau mit dem lädierten Knie, nämlich spüren, was ihr Körper brauche und aktuell habe er ihr Ruhe signalisiert.

»Mit solchen Patienten hätten wir  weniger Arbeit«

Ich gratulierte der Wanderfreundin herzlich zu dieser Fähigkeit und versicherte ihr, dass viele Leute eine Menge Geld ausgeben würden, um in Seminaren wieder in Kontakt mit dem eigenen Körper zu kommen. Um so herauszufinden, was ihnen körperlich und seelisch gut tut und was sie wirklich brauchen. Auch in medizinischen und psychotherapeutischen Therapien wird ja häufig viel Zeit darauf verwandt, die – wodurch auch immer – unterbrochene Verbindung von Körper, Geist und Seele wiederherzustellen.

Die Graphik-Studentin erzählte nunmehr, dass sie diese Fähigkeiten von ihrer Mutter gelernt habe. Ein Hoch auf die Mutter, die so etwas an die nächste Generation weitergibt! Hätten wir mehr Patienten wie diese Studentin könnten wir unsere Arbeit deutlich reduzieren oder zumindest vereinfachen. Oder kommen solche Menschen möglicherweise gar nicht als Patienten in unsere Praxen? Wäre unser Berufsstand und manch anderer im Gesundheitsbereich zum Teil gar überflüssig?

Am Abend darauf trafen wir die beiden jungen Frauen übrigens zufällig in der nächsten Hütte wieder. Bei einer tüchtigen Portion Kässpatzen versicherte mir die angehende Graphikerin trotz siebenstündiger Wanderung keinerlei Beschwerden am Knie ge­habt zu haben.

An diesem Abend kam ich mit ihrer Freundin länger ins Gespräch. Sie studierte ja Völkerkunde und erzählte mir mit allen Zeichen der Bewunderung, wie toll die schamanische Medizin sei und wie traurig sie es fände, dass wir in unserer Kultur nicht von anderen Völkern lernen würden. Jetzt war es an mir, die Augen zum Himmel zu verdrehen. Warum finden wir alles, was von „draußen“ kommt, so toll? Und: Warum fällt es uns so schwer, uns auf unsere eigenen Schätze zu besinnen?

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