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Bloß kein gut verdienender Orthopäde sein!

Autor: Dr. Frauke Gehring

„Orthopäde müsste man sein!“ kommt mir dann in den Sinn. „Orthopäde müsste man sein!“ kommt mir dann in den Sinn. © Fotolia/Africa Studio
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Das Thema in unserer Praxiskolumne: Orthopäde sollte man sein. Oder besser doch nicht?

In Zeiten, da die Aktienkurse eher fallen statt stetig zu steigen und mein Privatvermögen auf lästige Weise angeknabbert wird, denke ich schon mal darüber nach, wie es wäre, mehr zu verdienen.

„Orthopäde müsste man sein!“ kommt mir dann in den Sinn. Dabei habe ich nicht die Kollegen vor Augen, die in der Klinik mit Bohrer und Meißel auf höchst befriedigende Art allerlei reparieren, sondern die Niedergelassenen. Allerdings verflüchtigen sich diese Neidanfälle immer sehr rasch. Denn wenn ich Revue passieren lasse, was mir meine Patienten vom Fachkollegen erzählen, haben diese eigentlich einen der frustrierendsten Arztberufe überhaupt.

„Frau Doktor, mein Knie schmerzt immer noch, aber der Orthopäde will mir einfach nicht helfen“, klagt die üppige Mittsiebzigerin. „Ich gehe immer wieder hin, und alles, was er sagt, ist, dass ich abnehmen oder ein neues Knie bekommen soll. Aber er hilft mir nicht!“ „Nun, abnehmen würde dem Knie sicher guttun“, murmle ich halblaut, um gleich unterbrochen zu werden: „Das versuche ich ja, ich esse so gut wie nichts. Sie wissen ja gar nicht, wie das ist!“ Doch, das weiß ich genau, denn ich versuche mein leichtes Übergewicht durch ständiges Kasteien unter der Woche so im Griff zu halten, dass ich am Wochenende auch mal sündigen darf.

„Hat er Ihnen denn Tabletten verschrieben?“, begebe ich mich auf weniger schlüpfriges Terrain. „Die vertrage ich doch alle nicht“, sagt sie empört. „Akupunktur?“, frage ich vorsichtig. „Hat nicht geholfen“, kommt wie aus der Pistole geschossen. Als ich Muskelkräftigung durch Schwimmen erwähne, durchbohrt sie mich mit Blicken: „Wann soll ich das denn noch machen? Ich habe doch Haus und Garten am Hals!“

Tja, was hat sie denn gegen ein neues Knie? „Ich lass mich doch nicht operieren“, entgeistert sie sich. „Spritzen hätte ich gern, aber das geht ja wegen Marcumar nicht.“ Hier wird es sie trösten, dass Hyaluronsäure auch nicht das Gelbe vom Ei und obendrein selber zu bezahlen ist. Letztlich aber kann ich ihr auch nur Tabletten anbieten, und sichtbar unzufrieden verlässt sie mich.

Orthopäden führen solche Gespräche doch zigmal am Tag, oder? Versuchen Couchpotatoes klar zu machen, dass ein wenig Bewegung ihrem Rücken zuträglich ist, erwarten ein paar Kilo Gewichtsabnahme oder gar regelmäßiges gymnastisches oder Fitnesstraining. Lassen sich anmaulen, dass die dem Fuß wirklich zuträglichen Einlagen nicht in die Pumps passen und dass man doch lieber weiterhin Ibuprofen verschreiben solle, damit die Füße weniger schmerzen. Zarte Hinweise auf Nieren- oder Herzschädigung sind in solchen Fällen gänzlich unerwünscht.

Massagen oder Osteopathie sind ja so schön passiv

Sicher werden sie auch mehrfach am Tag um Massagen oder Osteopathie gebeten, weil das so schön passiv ist und keine Eigeninitiative verlangt. „Aber Herr Doktor, die haben mir immer so gutgetan!“ Ich glaube, dass von 100 in unserer Fußgängerzone angesprochenen Menschen mindestens 90 sagen, dass ihnen Massagen helfen würden. Aber sind die nicht, wenn nicht gerade akut notwendig, eher Wellness und kein Ersatz für aktive Bewegungsübungen? Auch müssen Orthopäden Osteoporotikern sagen, dass sie wegen der erhöhten Frakturgefahr besser auf Rauchen und Alkoholkonsum verzichten sollen, was die natürlich ungern oder gar nicht tun.

Zudem wirken die Kollegen mit ihrer oft kernigen Physis häufig wie von einem anderen Stern, sodass die Leute denken: „Du kannst mir viel erzählen, steck du erst mal in meiner Haut“, und gar nicht mehr hinhören. Dass es möglich wäre, durch regelmäßige Ernährung und sportliche Betätigung in einer des Orthopäden zumindest ähnlichen Haut zu stecken, scheint ihnen eher in den Bereich der Fabeln zu gehören und ist somit keine Alternative.

Orthopäden kämpfen mit hartnäckigen Bursitiden, Achillodynien und Schulterproblemen und vielem mehr, auf die es keine so rechte Antwort gibt. Wie froh bin ich doch, ­Allgemeinärztin zu sein!

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