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Daniel Bahr besucht hausarztzentrierte Versorgung in Baden-Württemberg

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Das am weitesten entwickelte System einer freiwilligen hausarztzentrierten Versorgung gibt es in Baden-Württemberg. Minister Bahr hat es sich angeschaut.

Mittwoch, 14 Uhr, Stuttgarter AOK-Zentrale an der Heilbronner Straße. Alle Plätze im großen Rund des Sitzungssaals sind besetzt. Drei Kamerateams haben ihre Geräte aufs Podium ausgerichtet. Fotografen schießen Bilder, Diktiergeräte fangen die gesprochenen Worte ein. Werden hier und heute bahnbrechende Entscheidungen verkündet?

Geänderten § 73b wieder zurückdrehen

Nein. Es geht um Atmosphärisches und Symbolisches in der Gesundheitspolitik. Es ist ein für die und von den Medien inszeniertes Ereignis: Der Gesundheitsminister besucht die HzV-Vorreiter mit dem Bierdeckel-Honorarsystem, um sich vor Ort kundig zu machen. Dazu gehört auch der Rundgang in der Praxis von Medi-Chef Dr. Werner Baumgärtner in Zuffenhausen, wo Daniel Bahr mit dem Praxisteam und einer Patientin die Bestandteile, Folgen und Einschätzungen der seit über drei Jahren praktizierten hausarztzentrierten Versorgung erörtert.

Wichtig ist für Dr. Baumgärtner und AOK-Chef Dr. Christopher Hermann, dass der FDP-Politiker überhaupt gekommen ist und er der HzV öffentlich Aufmerksamkeit schenkt. Das wird als Zeichen der Annäherung interpretiert, nachdem der Kontakt zum BMG seit 2010 durch die Änderung des § 73b SGB V stark abgekühlt ist. Die Limitierung des HzV-Regel-Honorars auf die aus dem KV-Topf bereinigte Summe und die Verknüpfung eines Mehr-Honorars mit anderweitigen Einsparungen und Effizienzsteigerungen machen die Umsetzung neuer HzV-Verträge schwierig.

Das wiederum verhindert auch fachärztliche Selektivverträge, die sich an die HzV andocken lassen, erklärt Dr. Baumgärtner. Er fordert die Regierungskoalition auf, die „RLV-Koppelung im 73b“ aufzuheben. Das Argument für dessen Einführung – der Sparbeitrag der Hausärzte für das 2011 erwartete GKV-Milliarden-Defizit – lasse sich nicht mehr aufrechterhalten. Die Beitragssatzerhöhung und die gute Beschäftigungslage haben den Kassen Überschüsse beschert. Dr. Baumgärtner hofft, dass die Koalition noch vor der Bundestagswahl per Omnibusgesetz etwas für die HzV tun kann. Schließlich habe sie auch bei dem Datenschutzproblem mit der HzV-Abrechnung geholfen.

Bahr äußert sich jedoch zurückhaltend bezüglich einer erneuten Änderung des § 73b. Er begründet die Verschärfung durch das GKV-Finanzierungsgesetz mit Eindrücken von der damaligen HzV-Lage in Bayern. In der Politik wurde die Gefahr gesehen, dass das Kollektivvertragssystem unter die Räder geraten könnte. Dem FDP-Minister reicht es, wenn von den Selektivverträgen ein „Schub“ auf die Kollektivverträge ausgeht. Als Liberaler und Volkswirt spricht er vom „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“. Vielfalt in der Versorgung ist ihm wichtig. Und die freie Arztwahl. Und die freie Krankenversicherungswahl. Darum will er sich auch nicht für ein „allein selig machendes“ Vertragskonzept starkmachen.

Regierung wartet auf Belege der HzV-Vorteile

Bahr wartet auf den Nachweis, dass die Versorgung durch die HzV spürbar besser wird. Und er will wissen, wie dies geschieht, z.B. durch die Art der Zusammenarbeit. Ob unterm Strich damit auch Geld gespart werden könne, sei zweitrangig. Bahr: „Die Bundesregierung begleitet die Entwicklung mit Interesse.“
Für Mitte Juni planen AOK, Haus­ärzteverband und Medi, Fakten zu präsentieren, die die Wirkungen der HzV in Baden-Württemberg belegen. Zuständig für die Evaluation sind Wissenschaftler der Universitäten Frankfurt/M. und Heidelberg.

Hohe Zufriedenheitswerte der HzV-Teilnehmer kennt Dr. Hermann aus regelmäßigen Umfragen. Ihm fällt auch auf, dass etliche der jährlich hinzugewonnenen AOK-Versicherten zügig HzV-Teilnehmer werden. Die HzV könnte seiner Meinung nach ein Grund für die Kassenwahl sein. Dr. Hermann betont, dass die AOK mit ihrem Selektivvertragssystem schwarze Zahlen schreibt. Es sei aber kein Sparmodell, da zwei Drittel der HzV-Teilnehmer chronisch krank und dementsprechend auf intensive ärztliche Betreuung angewiesen sind. An der HzV der AOK nehmen über 3500 Ärzte und eine Million Versicherte teil.

Dass die HzV auch für die Ärzte mit Investitionen verbunden ist, unterstreicht Dr. Berthold Dietsche, Chef des Hausärzteverbandes im Land. Damit sind nicht nur Ausgaben für die IT (2000 bis 10 000 Euro) und die Verah-Qualifizierung von bislang 1200 MFA gemeint, sondern auch die Aufwendungen für die hausarztspezifischen Fortbildungen. In 390 Qualitätszirkeln treffen sich in der Regel jeweils zehn bis 15 Teilnehmer sechs- bis achtmal im Jahr, berichtet Dr. Dietsche. Zudem wurden gut 100 „Frontalveranstaltungen“ durchgeführt, an denen zwischen 30 und 100 Kollegen teilnahmen. Deren Zufriedenheit sei sehr hoch, sagt Dr. Dietsche aufgrund der Rückmeldungen von Verbandsmitgliedern.

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