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Das Leben ist keineswegs abgesagt

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Selbstisolation in Zeiten von Corona: Die Zeit allein kann hart sein, bietet aber auch neue Möglichkeiten. Selbstisolation in Zeiten von Corona: Die Zeit allein kann hart sein, bietet aber auch neue Möglichkeiten. © iStock/gmast3r; MT
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Vielleicht haben wir jetzt die Zeit, manches neu nach wichtig und unwichtig zu sortieren – und uns auf das Leben nach Corona vorzubereiten.

So, nun hat uns SARS-CoV-2 fest im Griff! Als ich am letzten Wochenende aus einem Land zurückkam, in dem regelmäßig der Strom abgestellt wird und die Internetverbindungen nicht zuverlässig funktionieren, erlebte ich eine Überraschung: gespenstische Leere am sonst so trubeligen Flughafen. Statt Kampf um den Parkplatz freie Auswahl, staufreie Autobahn. Kurz dachte ich, ich bin in einem fremden Land angekommen, so verändert war die Umgebung. Aber nein, die Aufschriften waren deutsch und die Flughafengebäude sahen aus wie bei meiner Abreise.

In meinem E-Mail-Account und in meinen WhatsApp-Gruppen fanden sich unzählige Hinweise, Mitteilungen, Warnungen und Hinweise auf YouTube-Videos mit Experten, vor allem Virologen. Die entwarfen entweder das absolute Horrorszenario oder verglichen die Corona- mit einer Grippewelle. Alles in allem eine sehr verwirrende Situation, die für mich die Frage aufwarf, wie gehe ich als Hausärztin damit um?

Die ersten Tage nach meiner Rückkehr waren der Horror. Es bestand ein riesiger Beratungsbedarf, ich hing ständig am Telefon und redete, bis mein Mund ganz pappig war. Auch musste ich erst lernen, dass ich Patienten mit Erkältungssymptomen eine Woche lang nach lediglich telefonischem Arztkontakt arbeitsunfähig schreiben darf. Meist meldeten sich die „üblichen Verdächtigen“, natürlich. Aber auch viele Ängstliche und Unsichere, einige mit berechtigter Sorge, da sie aufgrund ihrer immunsuppressiven Therapie oder ihrer sonstigen Erkrankungen gefährdeter sind als andere. Glücklicherweise erwiesen sich die veranlassten Abstriche alle als negativ, bis jetzt.

Selbstverständlich haben wir die erforderlichen Hygienemaßnahmen umgesetzt. Das Desinfektionsmittel auf der Toilette war allerdings nach einer Stunde weg! Deswegen steht es jetzt an einem Platz, den die MFA von der Anmeldung aus einsehen kann. Auch unsere Vorräte sind nicht unbegrenzt. (Zum Glück hatte meine krankenhauserfahrene MFA schon vor meiner Abreise Schutzkittel, Handschuhe, Maske und Schutzbrille zusammengestellt, die Vorräte an Desinfektionsmitteln kontrolliert und nachbestellt.)

Worüber sich bisher kaum einer Sorgen zu machen scheint, sind die psychologischen Folgen der Quarantäne, des Ausgehverbots und des alltäglichen Stillstands. Man denke nur an die besonders zu schützenden Älteren: Was passiert, wenn man sie von ihren Enkeln, von ihren üblichen sozialen Kontakten separiert – im festen Glauben, dass es zu ihrem Besten ist? Bereits zwei Großväter hatte ich mit Tränen in den Augen vor mir sitzen und getröstet, so gut ich konnte. Da bekommt das Wort von den „überflüssigen Sozialkontakten“ eine ganz andere Bedeutung. Auch die Gottesdienste finden ja nicht mehr statt, in denen gerade viele Ältere ein gutes und sicheres Gemeinschaftsgefühl erlebten und wo sie Menschen trafen, denen sie ihre Nöte und Sorgen mitteilen konnten.

Was kann in der jetzigen Situation helfen? Per Zufall las ich einen wunderbaren Hinweis auf einem Plakat an der Kirche „um die Ecke“: „NICHT ALLES IST ABGESAGT! Gott ist nicht abgesagt. Sonne ist nicht abgesagt. Frühling ist nicht abgesagt. Beziehungen sind nicht abgesagt. Liebe ist nicht abgesagt. Zuwendung ist nicht abgesagt. Fantasie ist nicht abgesagt. Freundlichkeit ist nicht abgesagt. Gespräche sind nicht abgesagt. Hoffnung ist nicht abgesagt. Beten ist nicht abgesagt.“

Also, wenn auch manchmal alles zu viel ist, wenn manchmal alles durcheinander und verwirrend ist, vielleicht haben wir jetzt auch Zeit und Gelegenheit, manches nach wichtig und unwichtig neu zu sortieren. Und bei allem gilt: Es gibt ein Leben „nach Corona!“.

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