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Debatte um den Einfluss von Hobbypraxen auf die Sicherstellung

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck, Foto: thinkstock

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Viele Vertragsärzte mit Vollzulassung behandeln höchstens ein Viertel der in ihrer Fachgruppe üblichen Fälle. Zu diesem Eindruck kommen die Grünen im Bundestag aufgrund einer kleinen Anfrage, die die Regierung mit Zahlen der KBV beantwortete.

Die Fraktion Bündnis 90/Grüne um ihre gesundheitspolitische Sprecherin Biggi Bender wollte von der Regierung unter anderem wissen (BT-Drs. 17/9231), wie vielen Vertragsärzten Teilzulassungen erteilt wurden. Zugleich wurde Auskunft erbeten zu Abweichungen von den durchschnittlichen Fallzahlen bei Vertragsärzten mit voller Zulassung.

Die auf KBV-Daten basierende Antwort der Bundesregierung zeigt, dass Ende 2010 etwa ein Viertel der knapp 136 700 Vertragsärzte maximal 50 % der durchschnittlichen Fallzahl ihrer Bedarfsplanungsgruppe erreichten. Zugleich betrug die Zahl der Ärzte mit hälftiger Zulassung nur 2 % (2800). 15 % der Haus­ärzte erreichten maximal die Hälfte der mittleren Fallzahl, 6,5 % nicht mal ein Viertel. Über eine Teilzulassung verfügten lediglich 0,7 %.

Teilzulassung: Was tun die Zulassungsausschüsse?

Auf die Frage, wie viele Vertragsärzte weniger als 20 Sprechstunden in der Woche für sozialversicherte Patienten verfügbar sind, blieb die Regierung die Antwort schuldig. Die KBV habe mitgeteilt, dass dazu keine systematisch erhobenen Daten vorlägen.

Nicht beantwortet werden konnte auch die Frage, wie oft seit dem Vertragsarztrechtänderungsgesetz (das Teilzulassungen ermöglicht) in Zulassungsausschüssen Anträge dazu gestellt wurden, Zulassungen hälftig ruhen zu lassen oder zu entziehen.

 


Biggi Bender geht jetzt jedenfalls davon aus, dass nicht alle Vertragsärzte ihrem Versorgungsauftrag nachkommen. Die Bundestagsabgeordnete erinnert daran, dass Vertragsärzte laut Gesetz wöchentlich mindestens 20 Sprechstunden zur Versorgung von Kassenpatienten beitragen müssen. Ob diese Vorgabe eingehalten werde, sei jedoch weder der Bundesregierung noch den KVen bekannt, empört sich die Politikerin.

Sicherstellungsauftrag – KVen stehen in der Kritik

Wenn z.B. jeder dritte Fachinternist in Westfalen-Lippe oder jeder dritte Nervenarzt und Radiologe in Bremen weniger als 25 % der gemittelten Fallzahlen abrechne, dann müsse dort genauer hingeschaut werden – was aber offenbar nicht getan werde. Bender wirft den KVen vor, die Aufgabe der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung kaum wahrzunehmen. Und das, obwohl die Überlastung von Ärzten die Kehrseite der hohen Zahl von „Hobbyarztpraxen“ (Terminus von KBV-Chef Dr. Andreas Köhler) sei.

So liegt beispielsweise in zehn von 17 KV-Bezirken mindestens die Hälfte der Haus­ärzte mit ihren Fallzahlen über dem Durchschnitt (= 100 %) ihrer Planungsgruppe. In Sachsen-Anhalt trifft dies für zwei Drittel der Hausärzte zu, in Thüringen und Niedersachsen sowie im Saarland jeweils für rund 60 %.

„Deutlich wird, dass keiner der Beteiligten ein Interesse hat, Licht ins Dunkel zu bringen“, so Bender. Die Grünen-Politikerin fragt sich, wie die Bundesregierung die neue Bedarfsplanung umsetzen will, ohne dass zuverlässige Zahlen über das Ist und die Gründe der bestehenden Versorgungssituation existieren.

Benders Interpretation der KBV-Zahlen verärgert die Ärzteschaft zutiefst. Der Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich, bezeichnet sie als „Schnellschüsse“. Er übt zwar Kritik an Praxen, die trotz voller Zulassung nur geringe Scheinzahlen produzieren (diese seien „nicht erwünscht“). Aber allein mit dem kleinen Ausschnitt, den die KBV-Statistiken lieferten, könne der Umfang ärztlicher Tätigkeit nicht abgebildet werden.

Zudem gehe die Diskussion am Ziel vorbei, so Dr. Heinrich. Um den Ärztemangel abzuwenden, brauche es vielmehr Anreize, damit Kassenärzte voll tätig würden. Dazu gehöre allen voran eine adäquate und dem Aufwand und Umfang der Praxistätigkeit entsprechende Bezahlung.

Von einer „populistischen Kritik an der ambulanten medizinischen Versorgung“ spricht der Vorstandsvorsitzende der KV Niedersachsen, Mark Barjenbruch. Aus Abweichungen von der durchschnittlichen Fallzahl in der jeweiligen ärztlichen Fachgruppe könnten überhaupt keine Rückschlüsse auf die Versorgung gezogen werden. „Innerhalb einer Fachgruppe ist das Spektrum der Tätigkeit sehr unterschiedlich“, so Barjenbruch.

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