Anzeige

Der alltägliche Kampf um die Impfung

Autor: Dr. Frauke Gehring

Hausärzte und Hausärztinnen müssen die Entscheidungen der Gesundheitspolitik ausbaden. Hausärzte und Hausärztinnen müssen die Entscheidungen der Gesundheitspolitik ausbaden. © Brad Pict – stock.adobe.com; MT
Anzeige

Bei den Coronaimpfungen gibt es zwei Typen: solche, die dankbar und glücklich über ihren Impftermin sind. Und die Frechen und Egomanen. Unsere Kolumnistin zu Impfdränglern im Mangelzustand.

Wie schön war es früher doch, als das Telefon klingelte, weil eine Patientin oder ein Patient einen Rezept- oder Terminwunsch hatte, und als unsere Gespräche sich darum drehten, wie wir sie gesund kriegen oder erhalten konnten. Jetzt ist die gute alte Zeit längst Vergangenheit: „Sie sind überhaupt nicht mehr telefonisch erreichbar!“, schnauzt eine Patientin unsere MFA an, als diese, das Telefon abhebend, doch eben diese Erreichbarkeit demonstriert. „Ich möchte einen Impftermin! Aber mit BioNTech, nicht mit diesem AstraZeneca-Zeug. Geht das nächs­te Woche? Ich will nämlich in den Sommerurlaub fahren!“

Lange dauert es nicht mehr, so fürchte ich, bis eine MFA mal am Telefon explodiert. Ich weiß, was sie antworten möchte: „Wenn nicht alle wegen Impfterminen unser Telefon belagern würden, wären wir erreichbarer. Und hin und wieder müssen wir das Telefon auch mal klingeln lassen, um uns um die Leute in der Praxis zu kümmern! Sie wollen einen Impftermin? Klar, unsere Liste der Priogruppe 3 umfasst viele hundert Leute, und wir kriegen ca. 60 Dosen die Woche.

Nächste Woche könnten wir Ihnen höchstens eine Tetanusspritze anbieten. Ach, kein AstraZeneca, obwohl Sie 69 sind? Klar, wir nehmen gern den Impfstoff einem jungen Lehrer oder einer jungen Asthmatikerin weg, damit Sie schneller in den Sommerurlaub kommen! Es ist ja überhaupt nicht maßgeblich, dass sich die jungen Leute nun zu Ihrem Schutz seit über einem Jahr massiv einschränken. Denn Solidarität ist spätestens dann eine Einbahnstraße, wenn Sie mal wieder etwas Mittelmeersonne auf dem alten Buckel spüren wollen. Sollen die Jungen doch warten!“

Aber das sagt die MFA natürlich nicht. Sie sagt höflich, dass wir ­BioNTech für PatientInnen unter 60 reservieren (wer das nicht akzeptiert, muss sich dann eben um einen Termin im Impfzentrum kümmern). Dass unsere Warteliste sehr lang ist und wir in der einen Woche keine Ahnung haben, wie viele wir in der nächsten Woche impfen können. Und dass wir gerne erreichbarer wären, wir aber weder die Zahl unserer Telefonleitungen noch die unserer Mitarbeiterinnen spontan vermehren können. Ich bewundere sie in diesem Moment, denn sie leis­tet Übermenschliches, wie das gesamte Praxisteam. Gerne würde ich jedes Wochenende ein Grillfest mit ordentlich Alkohol organisieren, damit wir uns den Frust und Ärger aus dem Organismus spülen können. Aber nicht einmal das geht – was uns zumindest einen Kater erspart.

Wir strengen uns wirklich an und haben sogar meinen alten Praxispartner aus dem Ruhestand zum Helfen geholt. Es gibt die Glücklichen, die einen Impftermin bekommen und sich mit einer Schachtel Merci bedanken, was wirklich nicht nötig ist. Aber es gibt auch die Frechen, die Fordernden und die Egomanen, die das Klima rauer und die Wochentage immens anstrengend machen. Zu allem Überfluss pustete Minister Spahn noch in die Welt, dass man AstraZeneca schon nach vier Wochen auffrischen könne. Klar, wenn einem 55 % Schutz ausreichen und man einen pünktlichen Sommerurlaub wichtiger findet? Schreckt der Minister eigentlich vor gar nichts mehr zurück, um die AstraZeneca-Halde abzubauen und seine Impfpläne durchzuziehen? Nein, tut er nicht, denn diese unangenehmen Gespräche führen ja die Hausarzttrottel.

Ich stecke mir jedenfalls lieber noch ein paar Wochen Stäbchen in die Nase, als dass ich meine Impfung zu früh boostere, und ich werde keinem jungen Menschen eine BioNTech-Dosis wegnehmen. Meine MFA aber haben den ­großen Gedulds­orden in Gold verdient. Schade nur, dass wir uns den bei gerade mal 20 € Honorar pro Impfung nicht leisten können.

Anzeige