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Der Hausarzt ist wie ein Lotse ohne Kompass

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Lotse sein im Gesundheitssystem? MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner macht sich auf die Suche nach einem richtigen Experten und wird am Hamburger Hafen auch fündig.

Die notorischen Bedenkenträger des Gesundheitssystems haben seit Jahren immer wieder das gleiche Thema: Wir brauchen einen Lotsen im Gesundheitssystem! Sie meinen damit offenbar den Hausarzt und auf Nachfrage wird bestätigt, nein, das sei kein Seemannsgarn. Meine manchmal anstrengende Bekannte rümpfte darüber die Nase, als ich ihr davon erzählte. „Wenn die so geschwollen daherreden, von wegen Lotse, dann wollen die was von euch!“ Typisch Juristin, dachte ich.


Muss immer grundsätzlich alles infrage stellen. „Pass nur auf“, sagte sie, „dafür braucht ihr bestimmt einen Wochenkurs beim Hausärzteverband. Für 600 Euro habt ihr dann zunächst den kleinen Lotsenschein. Das große Lotsenzertifikat gibt es garantiert erst nach Prüfung bei der KV. Dann dürft ihr auch auf das Praxisschild ‚Gesundheitslotse’ schreiben.“ Sie formulierte ihre Gedanken wie immer gleich in Schriftsprache. So als diktierte sie gerade eine Klageschrift.

»Der Lotsenschein als neuer Weg zum Abkassieren«

Dabei meinte sie es nicht wirklich ernst, nur so halt, wie Rechtsanwältinnen es eben immer meinen. Da schaust du ja eh nicht durch. Aber ich konnte auch nicht darüber lachen. Denn Baden-Württembergs KV fordert bereits jetzt in vorauseilendem Gehorsam für die Lotsenfunktion Fortbildungen für unsere Helferinnen.


Überhaupt hagelt es Ratschläge von allen Seiten, objektiv, je nach Interessenslage: Hausärzte steuern Patienten mit und ohne Verah (ist gleich „Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis“); Facharztbehandlungen gibt es mit und ohne Überweisungsschein; dazu vermisst so mancher plötzlich die verhasste Praxisgebühr als Autopilot. Ich las mir das alles durch. Zuletzt, schon völlig verwirrt, kam mir die rettende Idee. Frag doch bei einem echten Profi nach! Frag doch mal Hein! Hein ist seit 25 Jahren Lotse im Hamburger Hafen.

»Das wichtigste ist ein Kompass«

„Guten Tag.“ „Moin, Moin!“ „Herr Hein...“ „Sach einfach Hein zu mir, bin kein Herr“, „Hein, Sie sind schon seit ...“, „kannste mich ruhig duzen.“ „Hein, du bist seit 25 Jahren Lotse und ich wollte dich mal fragen ...,“ „dann frach mich...,“ „... ob du mir ein paar Tipps geben kannst?“ „ Tipps?“ „Ja, wir sollen Lotsen sein, und da dachte ich, dass ein Mann mit deiner Erfahrung mir helfen könnte.“ Hein ist sichtlich geschmeichelt, weil eine Landratte etwas von ihm will. Zwirbelt seinen Schnauzbart, rückt die Elbsegler-Schiffermütze zurecht und kratzt sich am Kopf. „Nu, men Jung, wat willste denn wissen?“


Also fing ich damit an, dass uns für die Aufgabe als Lotse die entsprechenden Werkzeuge fehlten. „Dat wichtigste is der Kompass, ohne den geht goor nichts,“ sagte Hein und stopfte mit verschwielten, sonnengebräunten Fingern Tabak in eine Meerschaumpfeife. Ich merkte schon, es würde vermutlich schwierig werden, diesem Nordlicht meine Probleme zu verklickern. Ich wollte mich aber auch nicht gleich entmutigen lassen.


Also fasste ich geduldig die  Streitpunkte zusammen. Er hörte mir aufmerksam zu, als ich ihm aus einer Studie aus der Zeitschrift für Sozialreform vorlas, mit dem Titel „Der Hausarzt als Lotse im System der ambulanten Gesundheitsversorgung?“ Da heißt es gleich in der Einführung: „Das im Jahr 2004 in Kraft getretene Gesundheitsmodernisierungsgesetz verpflichtet Krankenkassen, Hausarztsysteme für ihre Versicherten anzubieten. Beabsichtigt ist dabei, dass die Hausärzte ihre Patienten als ’Lotsen’ durch das Gesundheitssystem leiten sollen. Überflüssige Arztbesuche könnten so vermieden, die Versorgungsqualität erhöht und Effizienzreserven im System der ambulanten Gesundheitsversorgung erschlossen werden.“

»Jeder will an die Heuer ran, das is doch normal«

Heins Augen waren von der Schiffermütze verdeckt und ich dachte schon, er sei eingeschlafen, aber seine Pfeife qualmte wie ein Kamin und beim Wort „Lotse“ ruckelte die Mütze.


Er stand jetzt ohnehin auf, holte eine Flasche Rum und brummelte irgendetwas von schmutzigen Gläsern. Also tranken wir aus der Flasche. Sehr schnell merkte ich, dass dies durchaus Sinn machte. Denn die Probleme wurden plötzlich immer kleiner. Ich sagte Hein, dass seit 1994 mit der Einführung der Chipkarte die Patienten grundsätzlich die Möglichkeit haben, unbegrenzt viele Ärzte zu konsultieren, ohne vorher zum Hausarzt zu gehen. Dass seither die Hausärzte Angst haben, Patienten zu verlieren. Andererseits ist ein Gatekeeper-System durch die Hausärzte nicht im Interesse der Fachärzte.


„Nu, ist doch kloor, jeder will an die Heuer ran. Dat is doch normaal. Wenn ihr aber nich’ mal wisst, welchen Kurs ihr fahren wollt, dann lasst man lieber andere ans Ruder. Solche, die wissen, wo’s lang geht.“


Für ihn schien das Thema damit erschöpfend kommentiert. Er griff nach dem Rum. Aber die Buddel war längst leer. Woran ich nicht unmaßgeblich beteiligt war. Daher machten mir auch die vielen Widersprüche plötzlich nichts mehr aus.  Aber rein gar nichts, hicks. In unbekanntem Fahrwasser voller Klippen und Untiefen als Lotse zu fungieren, wo ist dabei eigentlich das Problem? In dem Zustand jedenfalls sieht man keines.

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