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Der Landarztmangel wird so nicht beseitigt

Autor: Prof. Dr. Klaus-Dieter Kossow

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Was hat sich 2011 getan für die Hausärzte? Prof. Dr. Kossow zieht ein Resümee über das vergangene Jahr und ist gespannt wie es im Neuen weiter geht.

Das Jahr 2011 war durch weltbewegende Ereignisse gekennzeichnet. Die Gesundheitspolitik im Allgemeinen und die Belange der Hausärzte im Besonderen hatten deswegen aus der Sicht des breiten Publikums einen eher untergeordneten Stellenwert. Gleichwohl war dieses Jahr für den Deutschen Hausärzteverband wohl das aufregendste.

Revolutionen muss man auch gewinnen können

Vor Jahresfrist ließ der Vorstand des Bayerischen Hausärzteverbandes (BHÄV) über den Ausstieg aus dem System der vertragsärztlichen Versorgung abstimmen. Etwa 40 % der Kollegen waren bereit, unter Inkaufnahme persönlicher Risiken die KV zu verlassen. Aber Revolutio­nen muss man gewinnen, sonst hat man sie verloren. Der Vertrag zwischen der AOK Bayern und anderen Kassen mit dem BHÄV und der Haus­ärztlichen Vertragsgemeinschaft (HÄVG) wurde fristlos gekündigt. Die Organisationen der Hausärzte klagten vor den Sozialgerichten dagegen vergeblich. Der BHÄV bekam einen neuen Vorstand, der sich bemüht, den Verband in ruhigeres Fahrwasser zu bugsieren, was Dr. Wolfgang Hoppenthaller, der Mitte Dezember seinen BHÄV-Ehrenvorsitz zurückgab und seine Mitgliedschaft kündigte, nicht erleichterte.


Durch die Kündigung der bayerischen HzV-Verträge wurde der HÄVG ein wirtschaftlich schweres Jahr auferlegt. Sie musste viele Mitarbeiter entlassen, konnte aber wegen der Kooperationsbereitschaft der Landesverbände nach ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft ihr Kapital erheblich aufstocken und ist jetzt wieder in sicherem Fahrwasser. Hinzu kommt, dass 2011 wichtige Verträge mit der Techniker Krankenkasse und der Vereinigten IKK mit bundesweiter Geltung abgeschlossen werden konnten. Der Datenschutzbeauftragte Dr. Thilo Weichert aus Schleswig-Holstein stellte die Direktverträge der HÄVG datenschutzrechtlich infrage. Das konnte durch eine Gesetzesänderung entschärft werden.


Im November gewannen die HÄVG und der Hausärzteverband einen Prozess, den die AOK Bremen gegen den vom Schieds­mann Dr. Arnold Knigge festgesetzten HzV-Vertrag angestrengt hatte, in letzter Instanz. Damit ist zum Jahresschluss sichergestellt, dass die Direktverträge zwischen Krankenkassen und Haus­ärzteverband bis auf Weiteres eine Zukunft haben. Zum Jahresanfang war dies nicht selbstverständlich, weil die KBV und einige Krankenkassen im Krieg gegen die HzV-Verträge einen wesentlichen Zweck ihres Daseins gesehen haben.


Auch in der großen Politik sind die Hausärzte weiterhin ein Thema. Beim Parteitag der SPD im Dezember wurde beschlossen, nach einem Wahlsieg der Sozialdemokraten die HzV auf der gleichen Rechtsgrundlage fortzuführen, wie sie bis zum Inkrafttreten des GKV-Finanzierungsgesetzes bestanden hatte. Damit kommt die SPD in ihrem Leitantrag zur Gesundheitspolitik der wesentlichen Forderung des Haus­ärzteverbandes entgegen.

Hausärzte verlieren ihr Vertrauen in die Politik

Aber derzeit stellt die FDP den Gesundheitsminister. Und der verfolgt eine Politik, die gegen die Interessen der Haus­ärzte gerichtet ist. Es resultiert eine bizarre Situation: Die wirtschaftsnahe FDP bekämpft den Wettbewerb im Gesundheitswesen zulasten der Hausärzte und die Sozialdemokraten fördern ihn. Viele Hausärzte sind eher durch eine liberale bzw. konservative Weltanschauung geprägt. Sie verlieren ihr Vertrauen in die Politik. Dieses Misstrauen wird noch verstärkt, wenn Widersprüche nicht aufgeklärt und Gesetze ohne Problemlösungskraft beschlossen werden.


Im Herbst 2010 hatten die Ersatzkassen und einige AOKen behauptet, finanziell durch die HzV-Verträge (nach altem Recht) überfordert zu sein. Heute, nur ein Jahr später, haben die Krankenkassen nicht das damals behauptete Defizit, sondern ein Guthaben in Milliardenhöhe (welches unter anderem durch das Honorardumping im hausärztlichen Bereich erarbeitet wurde).


Ein anderes Beispiel: Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurde der Presse als ein Hausarzt- und Landarztförderungsgesetz verkauft, weil es die Beseitigung von Honorarkappungen bei Landärzten, Erleichterung bei Arzneimittelregressen und bescheidene Honorarzuschläge vorsieht. Aber jedem Insider ist klar, dass der existierende und insbesondere der drohende Landarztmangel allein mit diesen Maßnahmen nicht beseitigt, sondern allenfalls etwas abgemildert werden kann.


Wer etwas gegen die Auflösung der gesundheitlichen Versorgung auf dem Lande tun will, der muss den Hausärzten und ihren Organisationen ein eigenständiges Verhandlungsrecht für die Regelung ihrer beruflichen Belange geben, wie dies durch die Große Koalition der vorigen Legislaturperiode im § 73b gegeben war. Solange Hausärzte nicht für Haus­ärzte verhandeln können, werden ihre Arbeitsbedingungen durch die Interessen der KVen und der großen Krankenkassen bestimmt.


Diese sind aber unabänderlich gegen die Land­ärzte gerichtet. Die Mehrheit der Mitglieder großer Krankenkassen und der Ärzte in den KVen lebt in Ballungsgebieten. Solange sie die Vertragsbedingungen der Hausärzte bestimmen, kommen die Versorgungspraxen auf dem Lande immer zu schlecht weg. Nur die Tarifhoheit der Hausärzteorganisa­tionen kann daran etwas ändern.

Landbevölkerung wird auf doppelte Weise enteignet

Die Landbevölkerung und die mittelständischen Betriebe zahlen in der Lüneburger Heide, im Bayerischen Wald und am linken Niederrhein die gleichen Krankenkassenbeiträge wie die Unternehmen und Bürger in den Ballungsgebieten. Aber als Gegenleistung bekommen sie in Zukunft nicht mehr Hausärzte, von Fachärzten ganz zu schweigen. Auch die Krankenhäuser, die es dort einmal gab, sind bereits geschlossen.


Dies ist eine doppelte Enteignung: Einerseits finanzieren die Menschen auf dem Lande die Überversorgung in den Ballungsgebieten mit, andererseits werden sie in ihrem Wohnbereich nicht mehr versorgt, sondern haben erhebliche Zusatzkosten zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag hinzunehmen, wenn sie die Versorgungseinrichtungen in den Städten in Anspruch nehmen wollen. Diese schreiende Ungerechtigkeit muss von der Politik gesehen und beseitigt werden. Die nächste Reform kommt daher bestimmt.

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