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Dermatologen sehen Defizite in der Patientenversorgung

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Jeder dritte Mensch hierzulande leidet unter chronischen Erkrankungen des allergologischen Formenkreises. Medizinisch gut versorgt sind längst nicht alle. Die Lage könnte sich sogar noch verschlechtern.

Versuch und Irrtum statt Epikutantests? Wird das Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften wie im Referentenentwurf vorgesehen umgesetzt, stehen Epikutantest-Zubereitungen vor dem Aus. „Damit käme eine seit 100 Jahren erfolgreiche Allergie-Dia­gnostik vollständig zum Erliegen“, erklärte in einer Pressekonferenz der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) Professor Dr. Axel Schnuch.

Der Leiter der Zentralstelle „Informationsverbund Dermatologischer Kliniken“ (IVDK) kritisiert, dass die Gesetzesnovellierung potenzielle Kontaktallergene zu Arzneimitteln machen könnte.

Zulassungshürden wie bei Arzneimitteln

„Nur durch die Art der Applikation wird das Allergen zum Medikament“, so der Dermatologe der Universität Göttingen. In der Konsequenz würden Allergene aus Kosmetika, Gummi- und Lederartikel, Textilien, Kunst- und Klebstoffen den gleichen Herstellungs- und Zulassungsbedingungen wie Arzneimittel unterliegen. Das heißt, die Inhaltsstoffe müssen unter Laborbedingungen hergestellt werden. Zur Zulassung sind klinische Studien wie bei Arzneimitteln nötig, ebenso Studienversicherungen, die im Einzelfall mindestens 60 000 Euro kosten.

Prof. Schnuch verweist auf eine Stellungnahme von neun medizinischen Fachgesellschaften. Damit wird die Politik aufgefordert, bei der Umsetzung der EU-Richtlinien 2001/83/EG und 2011/62/EU per AMG-Novelle die bisherige Ausnahme für die Herstellung von Epikutantests beizubehalten.

Die Verbände sprechen von einer „semantischen Falle“: Die nationale und europäi­sche Gesetzgebung unterscheide nicht zwischen therapeutisch eingesetzten Typ-I-Allergenen wie Bienengift und Kontaktallergenen wie Nickel oder Gummiinhaltsstoffen.

Die Allergie-Experten warnen, dass ohne die Ausnahmeregelung Patienten nur noch mit „Versuch und Irrtum“ herausfinden könnten, worauf sie allergisch reagieren. Kennzeichnungen auf Verpackungen von Lebensmitteln und Kosmetika bezüglich Allergien seien dann sinnlos. Auch werde es dem IVDK nicht mehr möglich sein, im Sinne des Arbeits- und Verbraucherschutzes vor zunehmenden Allergien zu warnen oder Entwarnungen zu geben.

Allergiker: „Die Lebensqualität ist weit unter der Norm“

Auf gravierende Probleme in der Behandlung der Neurodermitis verwies Professor Dr. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er berief sich dabei auf die Studie „AtopicHealth“ von 2011, wonach trotz weitgehend leitliniengerechter Therapie 93 % der 1678 befragten Patienten weiterhin unter quälendem Juckreiz litten. Jeder vierte von ihnen gab zudem Schlaflosigkeit an. 36 % kratzten sich blutig.

Prof. Augustin sprach von einer Lebensqualität „weit unter der Norm“ – auch im Vergleich zu Asthma-, Rheuma- und Krebspatienten. Als Grund gab er an, dass topische Basistherapeutika als OTC (außer bei Kindern bis 12 Jahre und Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen) nicht von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Da die Kassen zudem Patientenschulungen nicht bezahlen, nehmen nur 12 % der Neurodermitis-Patienten solche Angebote wahr.

Auch zeigen sich beim Einsatz topischer Immunmodulatoren Defizite: Die beiden verfügbaren Mittel Tacrolimus und Pimecrolimus wurden nur einem Drittel der Befragten verordnet.

Kassen sollten OTC erstatten können

Im Namen der DDG forderte Prof. Augustin, topische Basistherapeutika und Harnstoffpräparate auf die OTC-Ausnahmeliste zu setzen, damit sie von den Kassen erstattet werden können. Schulungen sollten in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen und eine Regressgefahr bei der Verordnung innovativer Medikamente ausgeschlossen werden.

Allergiker: Meist direkt zum Haus- oder Hautarzt

Moderne Antiallergika werden nur jedem zweiten Allergiker verordnet. Nur 28 % der Patienten erhalten eine Immuntherapie. Dabei könne durch die „Hyposensibilisierung“ bei Patienten mit allergischer Rhinitis ein Etagenwechsel hin zum Asthma bronchiale verhindert werden, unterstreicht DDG-Präsident Professor Dr. Rudolf Stadler anlässlich der Ergebnisse einer Forsa-Umfrage von Anfang dieses Jahres.

Jeder dritte der 1004 befragten Erwachsenen gab an, dass bei ihm bereits durch einen Arzt oder einen anderen Therapeuten eine Allergie diagnostiziert wurde. Für mehr als jeden zweiten Allergiker waren die Symptome (sehr) belastend. 23 % sahen sich in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Dennoch haben nur 70 % von ihnen einen Arzt oder anderen Therapeuten aufgesucht, wobei Hausarzt (45 %) und Dermatologe (41 %) die ersten Ansprechpartner sind. 58 % der Allergiker gaben an, sich selbst zu behandeln, z.B. mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten oder durch bewusstes Meiden der Allergieauslöser.

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