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Praxiskolumne Die COVID-Gretchenfrage: „Sind Sie geimpft?“

Autor: Dr. Cornelia Werner

Nicht jeder freut sich über das Impfangebot. Allgemeinmediziner sollen jetzt die Überzeugungsarbeit leisten. Nicht jeder freut sich über das Impfangebot. Allgemeinmediziner sollen jetzt die Überzeugungsarbeit leisten. © Jacob Lund – stock.adobe.com; MT
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„Corona ist harmlos“ oder „Das ist ein Genexperiment“ sagen Patienten. Unsere Kolumnistin fragt sich mittlerweile: „Wie intensiv will ich mir diese Impfaufklärungen gegen Windmühlen noch antun?“

Schon lange vor Corona bin ich mit Impfskeptikern nur mäßig zurechtgekommen. Ja gut, man muss nicht zwangsläufig gegen FSME geimpft sein. Dann badet man halt in Insektenschutz, wenn man Campen geht. Aber Tetanus, Diphtherie, Masern? Bitte, das muss drin sein.

Am schlimmsten empfand ich es, wenn Eltern diese lebensnotwendigen Impfungen für ihre Kinder verweigerten. Heiße Debatten sind da entbrannt. Nicht nur mit den meist eher angstgetriebenen Eltern, sondern auch unter Kollegen. Ist das schon Kindeswohlgefährdung?

Die Impf­ängste liegen ja meist in der Tatsache begründet, dass wir schwere Erkrankungen dank Impfungen nicht mehr kennen. Daher wird gerne gekontert mit: „Das Immunsystem ist stark genug.“ Dafür kursieren anhaltende Schauermärchen über Impfschäden. „Der Sohn vom Nachbarn des Tennislehrers hat Autismus und das kam mit Sicherheit von der Impfung.“

Ich habe immer wieder Diskussionen über Impfungen geführt. Steter Tropfen höhlt den Stein. Und in den meisten Fällen ging es gut aus. Die Kinder waren irgendwann mit den wichtigsten Vakzinierungen versorgt.

Jetzt erleben wir aber gerade live, wie weite Teile der Gesellschaft sich von einer faktenbasierten zugunsten einer meinungsbasierten Denkweise verabschiedet haben. Wir stecken in einer Pandemie, hofften auf einen baldigen Impfstoff. Jetzt ist er da. Doch wollen sich nicht impfen lassen. Eine Zwickmühle.

Wir Allgemeinmediziner sind jetzt diejenigen, die die Überzeugungsarbeit leisten sollen. Nach anderthalb Jahren Kommunika­tionsdesaster und fehlender Auf­klärungsarbeit sollen wir den Karren aus dem Dreck ziehen. Was dieser Gesellschaft an Wissen über Hy­giene und den Grundfunktionen ihres Körpers fehlt, ist frappierend. Noch immer wird das fehlende Maskentragen mitunter entschuldigt mit: „Ich hab die Hände desinfiziert.“

Also sitze ich in meinem Sprechzimmer und stelle die Gretchenfrage: „Sind Sie gegen Corona geimpft?“ Und das tue ich zunehmend mit einem Zögern. Denn was dann kommt, ist entweder erfrischend schnell ein „Ja“. Oder aber das gefürchtete „Nein“, welches meist ein langes Gespräch nach sich zieht. Mal ganz abgesehen von der Zeit, die es mich kostet, sind es die Nerven, die dabei draufgehen.

Von „Die Juden stecken hinter Corona und wir sollen mit der Impfung alle draufgehen“ über „Es wird uns viel verschwiegen“, „Corona ist harmlos“ und „Das ist ein Gen­experiment“ bis zu „Ich glaube nicht an Corona“ habe ich langsam alles gehört.

Ein Kollege hat neulich für Aufruhr gesorgt und Morddrohungen bekommen, weil er mit den an Verschwörungstherorien glaubenden Patienten nicht mehr zurechtkam und diese bat, den Hausarzt zu wechseln. So weit musste ich noch nicht gehen. Ich war bisher auch noch davon überzeugt, dass sich ein Patient, der mich als strikte Impfbefürworterin kennt, doch bald von selbst anderweitig nach einem Arzt umschaut. Doch klappt das Prinzip noch? Wohin sollen die sich alle wenden? Will ich mir weiter solche Gespräche antun, bei denen ich manchmal eine Wurzelbehandlung im Vergleich als Wohltat empfinde?

Wenn ich mir ansehe, wie wenig die Politik seit Anfang der Pandemie an wirklicher Aufklärung abliefert und wie wenig gegen Falschinformationen vorgegangen wird, dann wundert mich nicht viel. Bis heute wissen viele Patienten nicht, was alles COVID-Symptome sind: „Ich habe kein Fieber, also habe ich kein Corona!“

Nun wurden auch noch die Inzidenzen als Richtwert abgeschafft. Die „Pandemie der Ungeimpften“ füllt zwar nur langsam die Krankenhäuser. Aber uns in der ambulanten Versorgung überrollt gerade eine Infektionswelle. Schließlich gibt es noch andere Infekte zur Herbst- und Wintersaison. Und wir versorgen über 90 % der Coronapatienten ambulant.

Also: Wie intensiv will ich mir diese Impfaufklärungen gegen Windmühlen noch antun, während ich Boos­ter- und spärliche Erstimpfungen verabreiche? Ich weiß es nicht. Noch bleibe ich dran. Aber ich kann jeden verstehen, der sich nicht mehr so ins Zeug legt. Schließlich haben wir noch anderweitig Patienten zu versorgen.

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