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Diabetisches Fußsyndrom Die Fußspuren einer Koryphäe

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Das diabetische Fußsyndrom erfordert eine besondere Wundversorgung. Das diabetische Fußsyndrom erfordert eine besondere Wundversorgung. © Dr. Gerald Engels
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Dr. Gerald Engels hat viel dafür getan, damit Patienten mit diabetischem Fußsyndrom eine Amputation möglichst erspart werden kann. Sein ­Ansatz ist die Druckentlastung der Wunden bei erhaltener Mobilität.

Um die Behandlung bestimmter Krankheitsbilder weiterzuentwickeln, braucht es Ärztinnen und Ärzte, die mutig genug sind, die Grenzen des medizinisch Bekannten auch mal zu überschreiten. „Das ist die einzige Möglichkeit, die therapeutische Bandbreite zu erweitern. Man muss etwas ausprobieren“, sagt Dr. Gerald Engels. Der 66-jährige Chirurg hat die Versorgung von Menschen mit diabetischem Fußsyndrom maßgeblich verbessert, etwa durch Operationen, die der Entlastung von Fußwunden dienen und Amputationen verhindern. Aber auch für bessere Vergütungsstrukturen für Fußpraxen hat er gekämpft. Vor Kurzem ist der Pionier in den Ruhestand gegangen, nur an zwei Tagen pro Woche arbeitet er noch in einem Kölner Krankenhaus.

Durchtrennen der langen Beugesehne getestet

Ein gutes Beispiel für einen von ihm entwickelten Eingriff ist das Durchschneiden der langen Beugesehne bei Krallenzehen – heute weit verbreitet, vor einigen Jahren allerdings noch eine unkonventionelle Idee. „Mir schien dieser Schritt logisch. Er war seinerzeit zur Behandlung der Hufrehe bei Pferden beschrieben.“ Der Arzt erklärte einem Patienten die ungewisse Studienlage, dieser forderte ihn auf, den Eingriff trotzdem auszuprobieren. Es klappte problemlos. Im Folgenden verfeinerte Dr. Engels die Methode, evaluierte sie und publizierte die Ergebnisse in einer Kohortenstudie. Eine neue Behandlungsmethode war entdeckt. „Später habe ich gesehen, dass international viele Mediziner ungefähr gleichzeitig darauf gekommen sind“, erinnert sich der Arzt.

Arbeit stieß bei einigen Kollegen auf Skepsis

Die Diabetologie reagierte anfangs eher argwöhnisch. „Bei Kongressen fragten die Kollegen gelegentlich, ob ich noch alle auf der Schüssel habe.“ Sie waren das Arbeiten mit randomisierten Doppelblindstudien gewöhnt, wie es bei Fragen der Medikation Goldstandard ist. „In der Chirurgie gibt es aber oftmals keine gesicherte Evidenz. Dafür hat der Arzt das Ergebnis der OP aber direkt vor der Nase“, betont Dr. Engels. Seine Spezialisierung auf den diabetischen Fuß begann Mitte der 1990er-Jahre.

Als Angestellter des Städtischen Klinikums Köln-Holweide wurde er zu einer Hospitation bei Professor Chantelau in der Fußambulanz Düsseldorf geschickt. Es war die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland. Beeindruckt kehrte Dr. Engels zurück, bald darauf erhielt er den Auftrag, in seiner Klinik einen ähnlichen Schwerpunkt aufzubauen.

2001 ließ der Mediziner sich dann in Köln nieder, viele seiner Klinikpatienten wechselten in seine Praxis. Allerdings zeigte sich schnell, dass noch keine Strukturen für die adäquate ambulante Versorgung des diabetischen Fußes vorhanden waren. „Die Vergütungssituation für die chirurgische Behandlung von Menschen mit chronifizierten Wunden war seinerzeit so gestaltet, dass eine Schwerpunktversorgung schlicht nicht möglich war.“ Um diesen Missstand zu beheben, gründete der Chirurg gemeinsam mit dem Diabetologen Dr. Dirk Hochlenert den Qualitätszirkel „Diabetischer Fuß“, 2002 das „Netzwerk Diabetischer Fuß Köln und Umgebung e.V.“. Noch heute ist Dr. Engels der Vorsitzende.

Um den Krankenkassen die Untervergütung anhand von Daten zu demonstrieren, entwickelten die Mitglieder des Netzwerks ein Konzept, mit dem sich der Verlauf diabetischer Fußerkrankungen dokumentieren lässt. Sie unterschieden zwischen akuten Behandlungs- und Prophylaxephasen, stets speicherten sie auch Fotos. Mit den Jahren entstanden über 20.000 Datensätze.

Mit den ersten Ergebnissen des Projekts wandten sie sich an die Krankenkassen. 2005 wurde der erste Vertrag über eine Integrierte Versorgung vereinbart, später wurde er in einen Strukturvertrag umgewandelt. Dank der Sonderverträge war es möglich, viele Kolleginnen und Kollegen in die Arbeit einzubinden. „Sollten diese Verträge auslaufen, ist es unklar, wie es weitergeht“, sagt Dr. Engels. Er befürchtet, dass dann viele Kollegen aufhören werden, Betroffene ambulant so umfänglich zu behandeln wie jetzt. „Das bedeutet, dass die stationären Schwerpunkteinrichtungen für die Behandlung von Fußkomplikationen ein Pro­blem bekommen werden, diese Patienten zusätzlich abzuarbeiten.“

Gleichförmige Phänomene biomechanisch erklärt

Die Dokumentationsbilder entpuppten sich auch in anderer Hinsicht als wahre Schatztruhe. Bei der Verlaufsbeobachtung stellten Dr. Engels, Dr. Dirk Hochlenert, Dr. Stephan Morbach und Dr. Stefanie Schliwa fest, dass bestimmte Phänomene stets gleichförmig auftreten. „Wir haben uns etwa gefragt, warum Wunden immer an speziellen Stellen auftreten und uns intensiv mit der Biomechanik des Fußes beschäftigt.“ Ihre Erkenntnisse hielten sie samt ihrer Dokumentationsfotos in einem Buch fest, das international auf immenses Interesse stieß: „Das diabetische Fußsyndrom. Über die Entität zur Therapie.“ 

Über die Entität zur Therapie

In ihrer Monographie entwickeln Dr. Engels, Dr. Hochlenert und Dr. Morbach einen völlig neuen Blick auf die Therapie des Diabetischen Fußsyndroms. Anhand zahlreicher Fotos erklären sie, warum Wunden bei Betroffenen oft an ähnlichen Stellen entstehen und wie sich diese behandeln lassen. Im Fokus steht oft die Druckentlastung. Die Therapie wird dabei systematisiert dargestellt, mit einem jeweils eigenen Kapitel für jede Entität. Ärzte, die nach einer geeigneten Behandlung für einen Patienten suchen, werden fündig. Die Autoren erhielten 2019 für die englische Auflage des Werks die Stromeyer-Probst-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Das Buch wurde sogar ins Chinesische übersetzt.

Für die englische, erweiterte Neuauflage des Werks erhielten die Autoren 2019 eine Medaille der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. Eine chinesische Arbeitsgruppe übersetzte die Monographie gar ins Chinesische. „In dem Buch systematisieren wir die Behandlungsstrategien am Fuß. Man kann nachlesen: Wie kommt das Loch an diese Stelle des Fußes und was ist dagegen zu tun? Uns wird zurückgemeldet, dass wir die Versorgungsmöglichkeiten damit revolutioniert haben“, resümiert Dr. Engels. Es freut ihn, dass Alternativen zur Amputation stärker in den medizinischen Fokus rücken. „Diabetologen haben traditionell eher ein Problem mit Chirurgen. Sie denken, wenn sie Patienten dorthin schicken, kommen sie ohne Fuß oder Zehen ­zurück.“ Der Mediziner setzte sich dafür ein, auch medizinischem Fachpersonal spezifisches Wissen über die Wundversorgung bei Patienten mit Fußsyndrom zu vermitteln. Das Kölner Netzwerk war gemeinsam mit der AG Fuß der DDG – zu deren Vorstand Dr. Engels gehört – an der Implementierung der Weiterbildung „Wundassistent/in DDG“ beteiligt. Derzeit wird das Curriculum überarbeitet. Es ist bei Weitem nicht das einzige Werk Dr. Engels‘, das weit über seine Berufstätigkeit hinaus fester Teil der Diabetologie bleiben wird.

Wahre Größen der Diabetologie gesucht

Wir möchten auch in Zukunft Menschen vorstellen, die für die Versorgung von Patienten mit Diabetes bzw. die Diabetologie Besonderes und Berichtenswertes geleistet haben. Melden Sie sich bitte bei Interesse bei uns oder schlagen Sie jemanden für ein Porträt vor: diabeteszeitung@medical-tribune.de
Dr. Gerald Engels, Facharzt für allgemeine Chirurgie, Leiter der Sektion Wundchirurgie der Klinik für Diabetologie/Endokrinologie St. Vinzenz Hospital Köln Dr. Gerald Engels, Facharzt für allgemeine Chirurgie, Leiter der Sektion Wundchirurgie der Klinik für Diabetologie/Endokrinologie St. Vinzenz Hospital Köln © Dr. Gerald Engels
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