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Die Gespräche, die wir führen

Autor: Dr. Frauke Gehring

Patientengespräche bringen gerne mal den Terminplan durcheinander und den Arzt an seine Grenzen. Patientengespräche bringen gerne mal den Terminplan durcheinander und den Arzt an seine Grenzen. © iStock/DjelicS
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Von manchen Gesprächen mit Patienten muss man sich eine ganze Weile erholen. Davon berichtet auch unsere Kolumnistin.

„Ganz ehrlich, Frau Doktor: Als er so schlafend dalag, habe ich kurz darüber nachgedacht, ein Kissen zu nehmen und es ihm aufs Gesicht zu halten. Ich kann einfach nicht mehr!“ Diesen Satz habe ich nicht aus dem letzten „Tatort“ zitiert, sondern er fiel im Gespräch mit einer Patientin. Diese bisher wenig mordlustige Dame berichtete anlässlich eines Check-ups von ihrer Schlaflosigkeit und davon, wie sie der Umgang mit ihrem Ehemann belastete, der durch seine chronische Erkrankung unleidlich geworden war. Sie erzählte, dass er von morgens bis nachts bedient zu werden wünschte, obgleich er durchaus selbst noch etwas leisten könnte und sie auch nicht ganz gesund ist – immerhin haben beide die 60 schon länger überschritten. „Ich bin krank, du nicht“, war sein Totschlagargument, mit dem er Sklavendienste verlangte – so lange, bis seine Frau an Totschlag dachte.

Das volle Wartezimmer ignorierend, sprach ich länger mit der armen Frau. Ich schrieb ihr ein schlafförderndes Antidepressivum auf und vermittelte sie an die Psychologin einer Frauenberatungsstelle. Ich sagte ihr, dass eine Trennung auch in fortgeschrittenem Alter immer noch besser wäre als ein Mord, und dass sie (die diese nur aus schlechtem Gewissen bisher nicht durchgezogen hatte) darüber ernsthaft nachdenken solle, wenn nichts anderes fruchte. Nachdem sie mich verlassen hatte, telefonierte ich mit dem Arzt, der ihren Mann behandelte, und bat ihn, auch für ihn über eine antidepressive Therapie nachzudenken. Dann benötigte ich ein paar Minuten zum Nachdenken. Wir Hausärzt*innen brauchen ein ganz schön stabiles Nervensystem für die Gespräche, die wir führen!

Sich seelisch „abzuschotten“, ist keine Lösung. Da war der junge Mann, der mir berichtete, er habe etwas Ärger gehabt in der letzten Zeit. Auf meine Nachfrage hin erzählte er, dass er seine ganzen Ersparnisse von der Bank geholt hätte, um sie zu Hause aufzubewahren; Zinsen gäbe es ja keine mehr. Kurze Zeit später hatte seine Mutter den Briefumschlag mit den 3000 € im Altpapier entsorgt. Das Geld war verloren. Hätte ich cool sagen sollen: „Sie sind ja noch jung, verdienen sie doch einfach neues“? 

Mitgefühl ist gefragt, aber auch nicht so viel, dass gefühlsmäßig die Pferde mit einem durchgehen. Einmal wäre es bei mir fast so weit gewesen. Eine ältere Dame berichtete mir von ihrer Tochter, die mit Anfang fünfzig an einem aggressiven Mamma-Ca erkrankte. „Ob meine Tochter die Chemo überhaupt machen soll?“, fragte die Mutter zweifelnd. „Dann würde sie ja alle Haare verlieren!“ Ich rang um Fassung: „Wenn es mein Leben retten könnte, würde ich meine Haare gern hergeben“, erwiderte ich knapp vorm Ausrasten.

Am nächsten Tag kam dann die Tochter, und es stellte sich heraus, dass die Mutter ihr tatsächlich wegen des möglichen Haarverlusts von der Chemo abgeraten hatte. Ich schwankte zwischen Entsetzen, Wut und Mitleid. Es war eine Gratwanderung, der Chemotherapie das Wort zu reden, ohne die Mutter als kaltherzige Frau ohne Verstand darzustellen. Von dem Gespräch musste ich mich eine Weile erholen: Wie kann eine durchschnittlich intelligente Mutter das Leben ihrer Tochter geringer schätzen als deren Schönheit? 

Es gibt viele belastende Gespräche im Praxisalltag. Wie hilfreich ist es dann, wenn ein gut gelauntes Praxis­team als Stimmungsaufheller fungiert, man sich mit den ärztlichen Kolleg*innen jederzeit austauschen kann und auch im Sprechzimmer mal herzlich gelacht wird! Denn auch das ist keine Seltenheit und eine stete Kraftquelle. Ich warte schon auf den Sommer, wenn unser Terminplan leerer ist und wieder Zeit sein wird für Witze oder das ausgiebige Bewundern mitgebrachter Babys. Die Tage werden schon wieder länger: Zeit für Vorfreude!

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