Anzeige

Die Kassen bestreiken – nicht die Patienten!

Autor: Dr. Frauke Höllering

Anzeige

Dr. Frauke Höllerings Vorschläge, wie man die Kassen zum Einlenken zwingen kann.

Forsch legte die junge Frau ihre Krankenkassenkarte auf den Praxistresen: „Sie haben ja gar nicht gestreikt“, meinte sie, als ich gerade aus dem Sprechzimmer kam, „und trotzdem die vielen Milliarden bekommen. Dann brauchen Sie ja meine zehn Euro nicht mehr!“


Durch meinen just vergangenen Urlaub tiefenentspannt, blieb ich gelassen: „Sie wissen ja, dass ich die Praxisgebühr nur für die Kasse einziehe und nichts davon behalten darf“, erwiderte ich freundlich, „und von den Milliarden kommen in meiner Praxis höchstens vereinzelte Euros an.“ Sie schmunzelte: „Und warum waren Sie dann nicht auf den Barrikaden?“


Das erklärte ich ihr gern: Was können die Patienten schon dafür, dass wir zu wenig Geld von den Krankenkassen bekommen? An der Beitragshöhe liegt es ja nun wirklich nicht. „Warum Sie also noch ärgern?“ endete ich meinen kleinen Diskurs, und sie nickte zustimmend.

»Opfer seiner samaritschen Grundeinstellung?«

Kurze Zeit später kam ein älterer Mann im Sprechzimmer auf das Thema Streik und widersprach mir: „Natürlich ärgern Sie damit Ihre Patienten“, kommentierte er, „aber das ist bei Streiks ja immer so. Was können Sie für die Gehälter der Lufthansa-Mitarbeiter? Gar nichts. Aber wenn Sie mit Tausenden anderen zornig am Boden bleiben, dann bewegt sich der Arbeitgeber einfach schneller. Also streiken Sie ruhig, wenn es mal wieder nötig sein sollte!“Bin ich tatsächlich Opfer meiner samaritanischen Grundeinstellung? Wäre ein Streik auch in den letzten Honorardiskussionen die richtige Strategie gewesen?


Ich kam ins Grübeln, wenngleich ich mir dieses erst nach Ende der Sprechstunde erlaubte. Wir hatten unseren Helferinnen tarifgerecht das Gehalt erhöht, hatten zähneknirschend horrende Heizrechnungen bezahlt und gefühlt zwanzig Prozent Aufschlag bei den Reparaturrechnungen für unsere medizinischen Geräte. Hausbesuche wurden allein durch den Benzinpreis zum Luxus, der Tankstopp trieb uns schon vor den Herbststürmen die Tränen in die Augen. Wer hatte noch gesagt, dass wir keinen Inflationsausgleich bräuchten, weil doch nichts so richtig teurer geworden war? Ich konnte mich nicht erinnern, schade!


Aber streiken … Jetzt keimte noch im Nachhinein Zorn auf meine Kolleginen und Kollegen der journalistischen Zunft in mir auf. Hatten sie doch konsequent geschrieben: „Ärzte fordern 3,5 Milliarden“! Was für ein Schock: So viel Geld für ein paar Ärzte? Das klang geradezu unverschämt, und selbst vor meinem geistigen Auge tauchten Villen mit davor dümpelnden Luxusjachten auf. Dabei dümpeln im Garten meines Fertighäuschens höchstens ein paar Blätter in den Pfützen des vermoosten Rasens.


Was sollte eigentlich diese Stimmungsmache? Schließlich wurde beim öffentlichen Dienst oder den Lokführern auch nicht die Gesamtsumme ihrer Forderungen genannt! Man stelle sich vor, die Gewerkschaften hätten für den öffentlichen Dienst 20 oder 30 Milliarden statt einer maßvollen prozentualen Erhöhung gefordert; was hätte die Volksseele gekocht!

»Nix mehr kodieren, das würde die Kassen treffen!«

Würde man mich mit Eiern bewerfen, wenn ich mal in Streik träte, oder in meiner Praxis nach goldenen Wasserhähnen auf der Privattoilette forschen? Wahrscheinlich nicht, aber noch immer war mir nicht nach Aufstand zumute. Wir sollten keine Bonusheftchen ausfüllen, riet damals unsere KV-Führung. Was für ein scharfes Schwert im Kampf gegen die Kassengier! Was für eine grauenhafte Drohung! Im Ernst, das geht doch den Kassen am Allwertesten vorbei, wenn wir mal keine Stempel in Heftchen drücken; das spart ihnen sogar noch Geld, weil sie dann die dafür ausgelobten Prämien nicht zahlen müssen!


Ich hatte eine bessere Idee: Kodierungsstreik! Einfach statt „Diabetes mit Spätfolgen Polyneuropathie und Niereninsuffizienz“ nur Diabetes eintragen, oder gar „Krankheit mit unklarer Ätiologie“… Wer weiß, woher der Diabetes kam. Vom Vater? Vom Übergewicht? Neumutation? Täglich Pommes mit Cola? Wenn wir die Krankheitsintensität nicht mehr vermerken würden, wäre das fatal für das Abrechnungssystem der Krankenkassen, die dann ihren Anspruch aus dem Risikostrukturausgleich nicht mehr entsprechend geltend machen könnten.

»Geld verpulvern und für Ärzte nur ein Mickerlohn ...«

Gleichzeitig könnten wir das Bürokratiemonster DMP aufs Eis legen. Das wäre nicht nur ein Schwerthieb statt eines Nadelstiches, sondern würde uns eine immense Zeitersparnis bringen. Man könnte ja mit den gewonnenen Stunden allerlei Sinnvolles beginnen, und sogar die Zeit nutzen, um mit den Patienten über den Grund der ärztlichen Unzufriedenheit zu diskutieren.


Schade, dass ich nicht geeignet für die Politik bin: Zu ungeduldig, zu wenig diplomatisch, zu zielorientiert. Dann muss mal jemand anders diese Idee durchsetzen, damit nicht die Patienten wieder die Gelackmeierten sind, sondern die Krankenkassen. Die verpulvern schließlich ihr Geld mit sinnlosen Aktionen und haben uns noch nicht einmal den vor Jahren zugesagten Mindestpunktwert gegönnt. Wenn es auf diese Barrikaden gehen sollte, gehe ich mit!

Anzeige